Die Seevölker
akzeptierten Version der ägyptischen Geschichte ist
wieder nichts von einer Invasion und Besetzung Ägyptens im elften
Jahrhundert bekannt – d. h. gegen Ende der 20. oder zu Beginn der 21.
Dynastie; doch spricht ein zeitgenössischer Bericht von Barbaren, die
sich wie Eroberer benommen haben.
Da diese »Barbaren« in Truppen organisiert gewesen sind und von
Hauptleuten angeführt wurden, würde es nicht ausreichen, ihre Akti-
vitäten auf die »Unzufriedenheit« einer ausländischen Minderheit zu-
rückzuführen, die sich in Ägypten niedergelassen hatte, wie einige
Historiker das – mangels besserer Erklärungsmöglichkeiten – vorge-
schlagen haben.
Ungefähr zur Zeit, als der »Tempel besetzt wurde« und dem Ho-
henpriester Amenhotep »Gewalt angetan« wurde, war der Anführer
der Hauptleute ein Mann namens Pinehas, dem man im allgemeinen
die Verantwortung für die Absetzung des Hohenpriesters zuschreibt.
Er erschien in Oberägypten an der Spitze eines starken Truppenkon-
tingents, setzte Amenhotep ab und stellte die Ordnung wieder her.
Im Papyrus Mayer A ist auch die Rede davon, daß einige der Grab-
räuber »von Pinehas getötet wurden«. Sie wurden nach ihrer Überfüh-
rung und Verurteilung hingerichtet. Man möchte annehmen, daß ein
Mann, der die allgemeine Ordnung wiederherstellt, bei der Bevölke-
rung in hohem Ansehen steht; das war jedoch nicht der Fall: »Aus der
3 Wente: Journal of Near Eastern Studies, XXV, 2, (April 1966), S. 84.
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Art, wie der Name des Pinhasi [Pinehas] geschrieben ist, ergibt sich
mit Sicherheit, daß er ein Gegner der Treugesinnten Thebens war, und
das Fehlen jeglichen Titels deutet daraufhin, daß er eine sehr bekannte
Persönlichkeit gewesen sein muß.«4
Wenn Pinehas die Diebe nach ihrem Prozeß streng bestrafte und
gleichzeitig die Ordnung in Ägypten wiederherstellte, warum sollte er
dann als »ein Gegner der Treugesinnten« oder Nationalisten betrachtet
werden? Aber es ist von ihm ebenfalls bekannt, daß er in den Städten
südlich von Theben Steuern eingezogen hat, und daß er gelegentlich
das Volk zerstreuen ließ, und zwar aus Angst vor einigen Menschen,
die in den hieroglyphischen Texten mit dem Fremdwort mdwt-'n ge-
kennzeichnet werden. »Die genaue Bedeutung dieses mdwt-'n ist un-
klar.«5 Beim erstenmal wird dieses Wort mit dem Determinativ für
Menschen geschrieben, und das führt zu der Schlußfolgerung, es könn-
ten die Meder gemeint sein.
Pinehas wird auch die Ernennung von Herihor, einem Berufsoffizier
ohne bekannten Stammbaum, zum Nachfolger von Amenhotep auf
dem Posten des Hohenpriesters zugeschrieben. Dem Pinehas wurde
eine königliche Order (der Name des Königs ist uns nicht bekannt)
übersandt, in Zusammenarbeit mit dem königlichen Silberdiener Ye-
nes bei der Beschaffung einer Anzahl von Halbedelsteinen mitzuwir-
ken, die für eine Werkstatt in der königlichen Residenzstadt bestimmt
waren.
Wer waren diese »Barbaren«, die Steuern einzogen, den Hohenprie-
ster aus seinem Amt entfernten und an seiner Stelle einen anderen ein-
setzten, einen Mann von militärischer Herkunft; wer bestrafte Übeltä-
ter und wer war verantwortlich für die Aufrechterhaltung der Ord-
nung, und wer waren die Truppen unter der Führung von Hauptleu-
ten; wer hielt die Bevölkerung in Angst vor Durchsuchungen und Ver-
haftung; und wer sammelte gelegentlich Halbedelsteine für einen un-
genannten König in einer ebenfalls nicht identifizierten Residenzstadt?
Als »Barbaren« wurden die Perser von den Griechen bezeichnet:
4 Gardiner: Egypt of the Pharaohs, S. 302.
5 J. Černý: »From the Death of Ramesses III to the End of the Twenty-first Dynasty«, in: Cambridge Ancient History, Kap. XXXV, S. 631. – Vergleiche auch T. E. Peet: »The Chronological Problems of the Twentieth Dynasty«, in: Journal of Egyptian Archaeology, 18 (1928), 68. Peet liest mdw-'n «.
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Dieser Begriff wird in den Schriften der griechischen Autoren des fünf-
ten und des vierten Jahrhunderts stets auf die Perser unter Dareios,
Xerxes, Artaxerxes sowie auf andere Könige der Achaemenidendyna-
stie angewandt; sie wurden als »Barbaren« und niemals als »Perser«
bezeichnet – und dies trotz der exquisit luxuriösen Hofhaltung in Per-
sepolis und trotz der kostbaren Gewandung ihrer Soldaten. In allen
ihren Satrapien unterstanden die Besatzungstruppen Hauptleuten und
diese Hauptleute den Satrapen.
Die »Barbaren« in den
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