Die Seevölker
und Kunstexperte T. H. Le-
wis, dem man die Kacheln zur Begutachtung vorlegte, schrieb: »Am
bemerkenswertesten ist die Tatsache, daß bei mehreren Platten auf der
Rückseite griechische Buchstaben zu finden sind, die offensichtlich
dort im Verlauf des Herstellungsprozesses angebracht wurden.«1
Aber wie konnten in der Zeit von Ramses III., also zu Beginn des 12.
Jahrhunderts vor unserer Zeit, griechische Buchstaben verwendet
1 T. H. Lewis: »Tel-el-Yahoudeh«, Transactions of the Society of Biblical Archaeology , VII, 1881 (1882), 182.
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werden? Das griechische Alphabet wurde erst viel später vom phönizi-
schen oder hebräischen Alphabet abgeleitet; in Griechenland selbst, auf
den Inseln und in Kleinasien hat man keine Spuren davon aus der Zeit
vor –750 finden können. Das Problem der griechischen Buchstaben auf
den Kacheln aus dem Palast Ramses' III. kann nicht einmal dadurch
gelöst werden, daß man von der Annahme ausgeht, das aus dem Phö-
nizischen abgeleitete griechische Alphabet stamme nicht aus dem 7., 8.
oder 9. Jahrhundert, sondern es sei einige Jahrhunderte älter. Worauf
es wirklich ankommt, ist die Tatsache, daß die griechischen Buchsta-
ben auf den ägyptischen Kacheln nicht wie die frühen griechischen
Buchstaben aus dem 7. Jahrhundert aussehen, sondern wie die klassi-
schen Buchstaben aus der Zeit Platons.
Urteilt man nach diesen Buchstaben, dann müßten die Kacheln in
einem der späteren Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung hergestellt
worden sein. Die spezielle Form des alpha wurde nämlich erst zu dieser
Zeit eingeführt.2 Auch die Form einiger anderer Buchstaben deutet auf
ihre Entstehung in einem späteren Jahrhundert hin. So erscheint das
sigma als C und nicht als Σ . Aufgrund dieser ins Auge fallenden Tatsachen waren die Gelehrten zunächst sicher, daß die Kacheln im letzten
Jahrhundert der Spätzeit (also im 4. Jahrhundert) entstanden sind,
möglicherweise sogar erst während der nach Alexander dem Großen
einsetzenden Periode der griechischen Herrschaft unter den Ptolemä-
ern.
»Die griechischen Buchstaben, die man auf den Fragmenten und
Scheiben vorfindet, vor allem das alpha, erlauben keinen Zweifel [ ne
laissent aucun doute ] daran, daß diese Arbeiten während der letzten
Jahrhunderte des Ägyptischen Reiches ausgeführt worden sind, wahr-
scheinlich zur Zeit der Ptolemäer; die Sache wird allerdings schwieri-
ger, wenn wir uns die Frage stellen, wer dieses Werk geschaffen hat.«3
So schrieb Emil Brugsch.
Wer hat nun dieses Werk geschaffen? Hier ergab sich ein innerer
Widerspruch: Urteilt man nach den Titeln und nach den Entwürfen auf
ihrer Vorderseite, dann wurden diese Kacheln zur Zeit Ramses' III.
2 a.a.O., S. 189.
3 E. Brugsch: »On et Onion«. Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l'archéologie égyptiennes et assyriennes , VIII (1886), 5.
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Abb. 2: Kacheln aus den Ruinen des Palastes Ramses' III. bei Teil el-Jahudija im Delta.
Die persischen Motive der Reliefmuster auf blauem Feld weisen auf die gleiche Epoche
des frühen 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung wie die griechischen Buchstaben,
die ebenfalls vor dem Brennen auf der Rückseite der Kacheln von den ausländischen
Künstlern angebracht worden sind.
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hergestellt; urteilt man aber nach den griechischen Buchstaben auf
ihrer Rückseite, dann können sie frühestens im vierten Jahrhundert
entstanden sein.
»Etwas erscheint seltsam an diesen Scheiben, die in so großer An-
zahl gefunden wurden; einige von ihnen haben auf der Rückseite grie-
chische Buchstaben, andere ägyptische Zeichen. Die griechischen
Buchstaben zeigen, daß gelegentlich auch Ausländer bei diesen Arbei-
ten beschäftigt wurden... Es ist kaum anzunehmen, daß spätere Könige,
wie beispielsweise die Saiten oder die Ptolemäer, sich die Mühe ge-
macht haben könnten, für ihren Vorgänger Ramses III. einen so
prachtvollen Palast zu bauen, dessen Saalwände nicht nur mit Darstel-
lungen von Pflanzen und Tieren geschmückt waren, sondern auch mit
Darstellungen der kriegerischen Heldentaten von Ramses III.«4 So
schrieb Edouard Naville.
Das Dilemma war sehr deutlich, aber es gab dafür keine Erklärung;
die griechischen Buchstaben konnten unmöglich zur Zeit Ramses' III.
zu Beginn des 12. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung geschrieben
worden sein; sie konnten aus den letzten Jahrzehnten des Ägyptischen
Reiches oder der darauffolgenden Zeit der
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