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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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es öffnet, seine komplette Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wird.«
    »Das können wir nur hoffen, ansonsten werden wir nämlich allesamt mit ihr sterben.« Doch Cunomar stellte fest, dass ihm diese Aussicht mittlerweile weniger Angst machte als noch vor kurzem. Er wollte die Erlebnisse dieses Morgens gern mit Ardacos teilen, doch der Bärinnenkrieger war nicht in der Stimmung, sich Geschichten über Geister und Waffen anzuhören. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen, als ob ihn irgendetwas quälte. Mit dem plötzlichen, eisigen Anflug einer unguten Vorahnung fragte Cunomar: »Aber du kommst doch sicherlich mit uns?«
    »Nein. Die Einladung richtete sich nur an die Familie. Weder dein Freund noch ich dürfen mit.« Ardacos’ Blick schweifte seitwärts zu Eneit hinüber. »Deine Mutter glaubt, sie weiß, wo ihr gewesen seid. Wenn ich du wäre, würde ich mir eine plausible Geschichte über einen verletzten Hirsch überlegen, den ihr bis tief in den Wald hinein verfolgt habt, und sieh zu, dass da auch ja keine Lücken drin sind. Du hast die nächsten zehn Tage Zeit, diese Geschichte aufrechtzuerhalten, ohne dass Cunomar sie dir verderben kann.«
    Cunomar spürte ein Ziehen, das ihm den Atem nahm. »Ist das dein Ernst? Eneit kann nicht mitkommen? Warum nicht? Er ist meine Ehrengarde; ich brauche ihn.« Noch niemals zuvor hatte er etwas in dieser Art gesagt, zumindest nicht öffentlich.
    Ardacos verzog das Gesicht zu einer Grimasse. In seinen Augen lagen Mitleid und Betrübnis und eine solch tiefe Besorgnis, wie man sie auf Mona nie in seinem Blick gesehen hatte. Er zwang sich zu einem Lächeln, das keinen von ihnen berührte und rasch wieder verblasste. »Es tut mir Leid, nein. Tagos hat Airmid verboten, mitzugehen, mit der Begründung, dass sie sonst womöglich versuchen könnte, den Gouverneur zu verfluchen. Ich wüsste also nicht, warum er an ihrer statt den Sohn einer Träumerin, der gerade den Morgen in einem Grabhügel verbracht hat, mitgehen lassen sollte.«
    Ardacos schlug Eneit auf die Schulter. »Sieh es doch einfach mal von der positiven Seite. Werden Cunomar und seine Familie wegen Hochverrats gehängt, kannst du Sinochos’ Klinge ganz für dich allein behalten.«

XII
     
    Raureif glitzerte auf den roten Dachziegeln und den mit Kalk gewischten Wänden der Krankenstation von Camulodunum. Es war fast das einzige Gebäude der Veteranenkolonie, das unverändert geblieben war. Theophilus von Athen, von Beruf Arzt und Seelenheiler, stand mit der Hand auf der Türklinke da und atmete die kalte Luft ein. Hier war der neue Tag noch vollkommen still; um seinen Kopf schwebten die Dampfwölkchen seines letzten Atemzuges. Anderenorts eilten Männer, Frauen und Kinder bereits geschäftig umher, so wie sie es in jeder Metropole, jeder Stadt und jedem Dorf des gesamten Kaiserreichs taten; es wurden Feuer geschürt, Eimer gefüllt, Hühner gefüttert und das Vieh auf neue Weidegründe getrieben.
    Die Mauern, die einst die Festung umschlossen hatten, existierten schon seit einem ganzen Jahrzehnt nicht mehr. Ohne sie konnte Theophilus den gesamten Bogen des Horizonts überblicken sowie die dünnen, blauen Fahnen von aufsteigendem Rauch, die das Erwachen von tausenden von Haushalten verkündeten. Wie jeden Morgen sprach er ein Gebet an das weite, wesenlose Universum, dass der Tag ihm nicht zu viele seiner Mitbürger krank oder verletzt zuführen möge. Diese Bitte sprach er nicht um seinetwegen; die Medizin war sein Leben, und er genoss die Herausforderung, doch war er nie jemand gewesen, der den menschlichen Preis jener Umstände, die seinem Leben Sinn und Bedeutung verliehen, einfach ignorierte.
    Die Luft war wie guter Wein, berauschend und erfrischend zugleich. Ein letztes Mal noch atmete er tief ein, dann öffnete er die Tür und trat in die wärmere, verbrauchte Luft der Krankenstation.
    Jener Bereich, der den römischen Bürgern vorbehalten war, war größer als der für die Stämme und weniger überfüllt. Mittels seiner beiden Auszubildenden entließ Theophilus zunächst zwei Opfer einer Lebensmittelvergiftung, darunter ein Weinhändler, halb Parther, halb Gallier, mit einem handfesten Kater, der ausführlich und in einem schier endlosen Redeschwall erklärt hatte, sein Urgroßvater habe einst in der Kavallerie unter Tiberius im pannonischen Krieg gedient und wäre dafür mit dem Erbtitel des Staatsbürgers ausgezeichnet worden, so dass ihm, dem Weinhändler, nun ebenfalls der Zugang zu dem

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