Die Seherin der Kelten
zu den Kellern und Höhlen des Stiergottes gestattet worden war, würden dieses Brandmal erkennen, wenn sie es sahen.
»Ihr solltet mich nach wie vor entkleiden«, wiederholte Valerius in vergnüglichem Tonfall. »Am Ende wird uns das allen nämlich viel Zeit ersparen, obgleich ich euch dankbar wäre, wenn ihr das hinkriegen könntet, ohne mir wieder etliche Fußtritte zu verpassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch irgendwo eine Stelle am Körper habe, die nicht erst einen vollen Monat braucht, um wieder auszuheilen.«
Valerius dachte schon, er hätte den Bogen überspannt. Denn alle vier Legionäre starrten ihn stumm und mit offenen Mündern an, und ihre Einfältigkeit schrie förmlich nach der Hilfe eines Vorgesetzten; am besten eines höheren Offiziers, der ebenfalls das Brandmal des Gottes trug und ebenfalls den Rang eines Löwen bekleidete oder auch einen noch höheren.
Und inbrünstig wünschte Valerius sich, dass sie diese Hilfe eben gerade nicht holen würden.
Er schaute an dem jungen Novizen vorbei und fing den Blick des Waffenmeisters auf, welcher der einzige Offizier unter den vieren war. »Eure Wahlmöglichkeiten sind ganz einfach«, erklärte Valerius. »Sollte ich ein Krieger der Silurer sein, dann müsst ihr mich entkleiden, ehe die Inquisitoren hier ankommen; ansonsten sähe das schlecht aus für euch. Sollte ich dagegen kein Krieger der Silurer sein, sollte ich hingegen der sein, als den ihr mich hier vor euch seht und sprechen hört...«, er wollte sich nicht laut als Diener Mithras’ bezeichnen, sondern berührte stattdessen noch einmal das Brandmal des Gottes auf seiner Brust, »dann werdet ihr dafür büßen müssen, dass ihr den Befehl eines höheren Offiziers missachtet habt. Ich habe euch befohlen, mich zu entkleiden. Tut ihr es nicht, so werde ich Meldung erstatten. Überlegt doch mal, Männer...« Valerius schnippte mit den Fingern. Die vier jungen Soldaten zuckten unwillkürlich zusammen. »Im Kampf ist ein zögerlicher Offizier ein toter Offizier, und seine Männer mit ihm. Ihr wisst, was...«
Und fast hätte er sie gehabt. Der junge Offizier holte gerade tief Luft, um den Befehl zu geben, Valerius zu entkleiden - und atmete dann wieder aus, als er jenes Geräusch hörte, das Valerius bereits einen halben Herzschlag vor ihm vernommen hatte und das alle weiteren Argumente endgültig zunichte machte: Draußen war gerade einer Abteilung von Kavalleristen der Hilfstruppe befohlen worden, sich in Reih und Glied vor der Tür zu postieren und stillzustehen.
Ungebetenerweise kam den vier jungen Soldaten damit also tatsächlich die Unterstützung eines vorgesetzten Offiziers zu Hilfe. Der junge Unteroffizier begann strahlend zu lächeln, und deutlich zeichnete sich die Erleichterung auf seinem Gesicht ab. Valerius lächelte mit ihm und stieß auf Irisch einen Fluch aus, um seine rasende Angst zu verbergen.
Noch einmal hätte er sich bewaffnen können; die Wachen trugen ihre Waffen ziemlich achtlos, und ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Offizier vor der Tür. Es wäre nicht schwer gewesen, einem der Männer das Schwert zu entreißen und es in der eigenen Brust zu versenken. Wäre Valerius bereit gewesen, das Risiko einzugehen, von einer der draußen wartenden Wachen überwältigt zu werden - oder von irgendeinem anderen der fünftausend bewaffneten Männer in dieser Festung -, dann hätte er nun womöglich zumindest noch einen der jungen Legionare töten können - und wäre anschließend mit wenigstens einem letzten Geist, der in den Ländern jenseits des Lebens darauf wartete, ihn zu empfangen, zu seinem Gott emporgestiegen. Beides erwog Valerius in der Zeit, die der neu angekommene Offizier brauchte, um bis zur Tür hinaufzumarschieren, anzuklopfen und zu verlangen, dass man ihn einließ.
Für den Rest seines Lebens hielt Valerius, einstiger Dekurio der Ersten thrakischen Kavallerie, an der Überzeugung fest, dass er sich bereits dafür entschieden hatte, zu leben - und nicht zu töten -, noch ehe er diese Stimme erkannte. Dann wurde der Türriegel zurückgeschoben und das morgendliche Licht hereingelassen, und im Türrahmen erschien die kräftige Gestalt von Longinus Sdapeze, Dekurio der ersten Schwadron der Ersten thrakischen Kavallerie.
Allein, weil er genau hinschaute und weil er Longinus außergewöhnlich gut kannte, erkannte Valerius in dem hastigen Atemzug, den der Offizier nun tat, dass dieser sich offenbar in einem Verdacht bestätigt fühlte. Und Valerius sah
Weitere Kostenlose Bücher