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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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gehasst. Doch das hatte ihrem Verhältnis schließlich seine Beständigkeit verliehen; genauso hatte es sein müssen. Und dafür hatte Valerius sein Pferd nur noch umso mehr geliebt. Für einen langen, verwirrenden Moment war der Gedanke an den Verlust des Krähenpferdes für Valerius sogar wichtiger als die Last, welche die Inquisitionskammer ihm auferlegte, und der langsame, qualvolle Tod, welcher ihm nun bevorstand. Auf Thrakisch schrie er nach dem Tier. Die vier jungen Männer der Zwanzigsten Legion hingegen dachten, er riefe etwas auf Silurisch. Wieder spuckten sie ihn an und lachten.
    Die Wachen waren noch jung, und es fehlte ihnen an Erfahrung. Valerius’ Hände waren nicht mehr gefesselt, und als sie sich umwandten, um die Tür zu verschließen, ließen die Burschen ihn für einen kurzen Augenblick lang unbeobachtet. Wie offen ausgesprochene Einladungen hingen an ihren Hüften ihre Waffen hinab. Wäre er der Krieger gewesen, für den sie ihn hielten, so hätte er in der Zeit, die sie brauchten, um die Riegel vorzuschieben, mindestens einen von ihnen getötet und anschließend sich selbst.
    Weil er aber nicht nur kein Krieger war und auch keineswegs vorhatte zu sterben, stemmte Valerius sich hoch, bis er schwankend mitten im Raum stand. Sein Mund war voller Blut, und er schluckte es mehr, als dass er es ausspie. Und in jenem alten Latein, das Claudius stets dem neuen vorgezogen hatte - Valerius setzte damit ein Zeichen seiner immer noch bestehenden Zugehörigkeit zu dem ehemaligen Kaiser -, hob er an: »Als Nächstes müsst ihr mich entkleiden. So heißt es in den Anweisungen: Zum Zeitpunkt der Festnahme ist der Gefangene sämtlicher Kleidung zu entledigen. Ich denke, das zielt darauf ab, den Kriegern auch noch die letzte Wärme und Würde zu rauben; was wiederum voraussetzt, dass ihnen überhaupt noch ein Rest an Würde bleibt, den man ihnen noch nehmen könnte. Dennoch, ich denke, ihr solltet mich entkleiden.«
    Entsetzt starrten die vier Männer ihn an. Einer, mit schwarzem Haar und schlanker und etwas aufmerksamer als der Rest, stieß einen Fluch im Namen Mithras’ aus.
    Zum Glück hatte Valerius in der Höhle noch keine Entscheidung getroffen - überschwänglich bedankte er sich nun bei dem Stiergott für das Geschenk dieses schlanken jungen Mannes und seines tiefen Glaubens. In aufrechter Haltung fuhr Valerius fort, rezitierte die Worte des Bittgebets des Löwen vor dem Sonnenaltar und beobachtete dabei, wie der junge Novize immer blasser wurde, bis sein Gesicht schließlich die gräuliche Farbe von Pergamentpapier angenommen hatte.
    Denn mit etwas Mühe hätte zwar auch ein gut unterrichteter silurischer Spion das Latein Claudius’ beherrschen können, hätte vielleicht sogar schon einmal eine Abschrift der militärischen Anweisungen gesehen; doch nur ein Mann, der in den Rängen der Priesterschaft Mithras’ bereits hoch aufgestiegen war, konnte den Wortlaut des Bittgebets des Löwen so gut kennen, dass er ihn nun laut zu rezitieren vermochte. Und ein solcher Mann wiederum konnte niemals ein Angehöriger der Stämme sein. Unter dem Stiergott herrschte eine Hierarchie, die berüchtigt war für ihre strenge Auswahl jener, welche die höheren Ränge bekleideten: Mit jedem weiteren Wort bewies Valerius nicht nur, dass er ein Bürger Roms war, der in den Legionen gedient hatte, sondern dass er darüber hinaus auch einer jener wenigen Eliteoffiziere gewesen war, die sich im Kampf bereits so stark hervorgetan hatten, dass ihnen sogar jene folgten, die eigentlich in einer ganz anderen Kompanie dienten.
    Nachdem Valerius geendet hatte, legte sich ein von geradezu spürbarer Angst erfülltes Schweigen über die jungen Soldaten. Als das Schweigen seinen Höhepunkt erreicht hatte, fluchte der Novize Mithras’ erneut, jedoch nur leise, und sogleich bat er seinen Gott dafür um Vergebung.
    Der Bursche war gerade erst in den Kreis von Jüngern aufgenommen und mit dem Zeichen des Gottes gebrandmarkt worden, dies drückte sich in jeder Geste seines Verhaltens aus. Valerius ließ sich gegen die Wand zurücksinken und schaffte es sogar, nicht aufzustöhnen. Er hob die Arme, so dass seine Ärmel zurückglitten und an seinen Handgelenken die Narben seines Ranges als Löwe sichtbar wurden. Den linken Daumen legte er auf die Mitte seiner Tunika, dorthin, wo sie das alte Brandzeichen Mithras’ bedeckte, das schon vor so langer Zeit in Valerius’ Brust eingebrannt worden war: Selbst die Wachen, denen noch nie der Zutritt

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