Die Seherin der Kelten
Plötzlich wirkte er wieder ganz so, wie er damals auf dem aus Gallien heimkehrenden Schiff ausgesehen hatte; fast zerstört von den Geistern seiner eigenen Verzweiflung. Auch damals schon hatte er einen anderen Namen verwendet; und dies vielleicht nicht bloß, um sie zu verspotten.
Breaca riet, versuchte es noch einmal: »Dann eben Valerius. Wenn das besser passt.«
Valerius senkte den Blick, schien nach Worten zu suchen. Als er wieder aufschaute, hatte er wieder zu seinem Humor zurückgefunden, egal, wie schwach dieser auch sein mochte.
»Ja, ich denke, das passt besser. Ich hatte gehofft, dass es das nicht täte, habe sogar darum gebetet, doch die Götter sind klüger. Bán starb bereits vor langer Zeit und kann auch nicht wieder zum Leben erweckt werden. An seiner Stelle siehst du nun Valerius von Nemain und Mithras, einen Träumer, der auch als Krieger einiges Geschick besitzt und dir nun seine Dienste anbietet, sofern du dies wünschen solltest.«
Das war zu viel, um alles auf einmal begreifen zu können. »Von Nemain und Mithras?«, fragte Breaca. »Kannst du denn beiden dienen?«
»So scheint es zumindest. Ich dachte auch, man könne nur einen Gott in sich tragen, aber offenbar ist dem nicht so. Wir haben eine Art... Übereinkunft erzielt. Und die kommt uns allen zugute und könnte auch dir dienen, sofern du dies wünschen solltest.«
Das Gleiche, genau das Gleiche hatte er nur einen kurzen Augenblick zuvor schon einmal gesagt. Breaca hielt den Atem an, wappnete sich damit gegen den Schmerz, und setzte sich auf. »Warum sollte ich das nicht wünschen?«
Valerius sah sie an, schaute durch sie hindurch und blickte auf all das, was sich hinter ihrem Gesicht verbarg. »Als wir uns das letzte Mal begegnet waren, auf einem Schiff, musste mac Calma dich noch davon abhalten, mich umzubringen. Doch er sagte ebenfalls, dass du mich noch brauchen würdest. Was er damals nicht sagte, war, dass er mein Vater ist; dass er folglich auch darum mein Leben schützte.«
Der Bruder, den sie einst gekannt hatte, hätte diese Neuigkeiten wohl ein wenig knapper formuliert vorgetragen. Der Mann, der nun an ihrem Bett saß, konnte dies jedoch nicht mehr; er hatte vergessen, was es bedeutete, ein wenig Nachsicht mit sich selbst zu üben.
Valerius, der ihr Schweigen missdeutete, fuhr fort: »Mac Calma ist aber nicht hier. Ich vermute, das ist kein Zufall, sondern er hatte es so geplant.«
»Damit ich dich nun endlich töten kann, falls mir danach sein sollte?« Sie lachte, und das Lachen schmerzte sie beide. »Ich befinde mich im Augenblick aber wohl kaum in der Verfassung, um noch irgendjemanden zu töten.«
»Darum geht es auch gar nicht.«
Er lächelte nicht; selbst der Sarkasmus, der ihm doch bereits zur zweiten Natur geworden zu sein schien, war nun verschwunden. Stattdessen verschlangen seine Augen sie geradezu, und seine Seele lag offen vor ihr, so dass sie die dunklen Seiten seines Wesens ebenso klar erkennen konnte, wie die Ahnin ihr auch die Dunkelheit in ihrem eigenen Herzen gezeigt hatte. Früher wäre sie darüber entsetzt gewesen, und womöglich hätte sie ihn tatsächlich von sich gestoßen. Nun aber, da sie sich selbst kannte, wie sie sich noch niemals zuvor gekannt hatte, blickte sie durch die Dunkelheit hindurch auf jenen Ort in seinem Herzen, in dem die Götter lebten, und sie sah die Leidenschaft, die diesen Ort mit ihrem Feuer erfüllte und die Valerius die Kraft verlieh, zwei Göttern zugleich zu dienen und dennoch nicht daran zu zerbrechen.
Dann senkte er den Blick, verbarg sein Innerstes wieder. Flach ausgestreckt lagen seine Hände auf ihrem Lager, von Narben überzogen und von der Sonne verbrannt, mit kurz geschnittenen Nägeln und Sehnen, die sich vom jahrelangen Schwertschwingen wie Kordeln über den Handrücken zogen. Seine Hände zitterten leicht und würden auch nicht mehr aufhören zu zittern.
Das Schweigen dehnte sich aus, und Valerius wollte nicht derjenige sein, der es als Erster wieder brach. Er bot ihr seine Seele, und ihre Antwort darauf bedeutete ihm viel, so viel, wie einem nur irgendetwas bedeuten konnte, so viel, vielleicht, wie sein Abschied von Corvus.
Breaca hatte gehört, wie die beiden voneinander Abschied nahmen, und sie hatte auch jene Worte gehört, die keiner von ihnen ausgesprochen hatte, am Morgen, als sie noch unter dem Marterpfahl gelegen hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie aber noch nicht gewusst, wer er war, sondern nur die emotionalen Unterströmungen gespürt,
Weitere Kostenlose Bücher