Die Seherin der Kelten
interessieren wird. Aber du kannst sie ja jederzeit selbst danach fragen.«
»Das geht mich nichts an. Ich bin nur gekommen, um zu sehen, wie es dir geht. Du findest mich draußen, ich helfe dort den anderen. Komm zu mir, wenn du fertig bist.«
In Breaca stieg eine Erinnerung auf, eine Erinnerung an einen Kavallerieoffizier mit rostrotem Haar, der die ganze Zeit über, als die Gefahr noch nicht gebannt gewesen war, neben ihr gestanden und Wache gehalten hatte. Er war ein guter Mann, und er hegte tiefe Gefühle, wenn auch nicht für sie.
Nachdem er gegangen war, nahm das Gewebe aus Stimmen eine andere Struktur an, und eine von ihnen flüsterte Breaca ins Ohr: »Breaca? Wenn du wach bist, dann nick einfach mit dem Kopf. Du brauchst nicht zu sprechen.«
Sie nickte.
»Ich muss dich etwas umlagern. Ist das in Ordnung?«
Abermals nickte Breaca, und behutsame Hände drehten ihren Kopf, und irgendjemand tröpfelte ihr etwas Wasser in den Mundwinkel. Breaca schluckte es, ohne zu husten. Anschließend dachte sie, dass sie nun lange genug wie ein hilfloser Säugling dagelegen hätte, dass sie sich nun auch wieder selbst bewegen könnte, und sie bewegte sich auch tatsächlich ein wenig; dann hielt sie jäh inne.
Als sie wieder atmen konnte, fragte sie: »Warum muss ich mich überhaupt bewegen?« Ihre Stimme klang schwach und bebte ein wenig.
»Weil dein Rücken sich unter der Heilung ansonsten versteifen wird, fest wird wie Holz, und dann kannst du nie wieder ein Schwert schwingen und auch keinen Katapultstein mehr schleudern, noch nicht einmal mehr einen Speer werfen. Wenn du jetzt aber fortfährst, dich zu bewegen, wird er heilen und zugleich beweglich bleiben, und du wirst davon nur einige weitere Narben zurückbehalten, nicht aber einen Körper, der deinem Willen nicht mehr gehorcht.«
Vor langer Zeit, in ihrer Kindheit, hatte ihr Vater ihr einmal einen Knochensplitter aus der Hand gezogen. Dieser Schmerz war ihr damals als so schlimm erschienen, wie sie sich Schmerz als solchen überhaupt nur hatte vorstellen können. Der Mann, der jetzt an ihrem Lager saß, hörte sich genauso an, wie damals Eburovic geklungen hatte; oder wie Luain mac Calma, zu anderen Zeiten und bei der Behandlung anderer Wunden: gütig und beschwichtigend und wohlwollend vernünftig im Angesicht des zu erwartenden Schmerzes, gegen den doch niemand etwas würde ausrichten können.
Breaca drehte den Kopf, um sich diesen Mann einmal genauer anzuschauen. Er saß neben ihrer Schulter und hielt ihre Hand. Er war es, der ihre Finger gesäubert hatte, mac Calma, der Vorsitzende des Ältestenrats von Mona, und er war erschöpfter, als sie ihn jemals gesehen hatte. Er trug einen ganz neuen Zug von Ironie an sich, die sich gegen ihn selbst zu richten schien, und an seiner Seite war ein Hund, der Hail sehr ähnlich sah.
Heiser murmelte sie: »Ich dachte, du wärst auf Mona?«
Überrascht hob er eine Augenbraue. »Das war ich auch.«
»Und was hat dich dann hierher geführt?«
»Luain mac Calma hat mich geschickt. Er meinte, man solle dich ermutigen, die Stämme zum Kampf aufzurufen, solange der Gouverneur noch im Westen beschäftigt ist. Das ist zumindest das, was er damals gesagt hat. Ich vermute aber, dass seine wahren Hintergründe wohl andere waren.«
Luain mac Calma hat mich geschickt. Das ergab keinen Sinn. Breaca schloss die Augen, um besser nachdenken zu können. Der Hund stand ganz dicht bei ihm, so wie auch Stone neben ihr stehen würde, mit der Ausnahme, dass Stone, im Gegensatz zu diesem Tier hier, ein Hund aus Fleisch und Blut war.
Luain mac Calmas Traumsymbol war der Reiher. Er besaß keinen Hund, der aus dem Tode wieder ins Leben zurückkehren würde, nur um an seine Seite zu eilen; auch hatte mac Calma keinen rothaarigen Kavallerieoffizier mit schroffer Stimme zum Freund, einen Mann, der sich entschlossen um ihn sorgte; und, wenn sie es sich recht überlegte, hatte mac Calma auch nie ein Pferd geritten, das auf Befehl einen Menschen töten könnte, geschweige denn, dass er überhaupt ein solches gebraucht hätte.
Breaca öffnete die Augen.
» Bán?«
Doch das war der falsche Name. Ihr Bruder zuckte zusammen, als ob man ihn geschlagen hätte, und der ungewohnte, trockene Humor in seinem Blick wich einem Ausdruck der Freudlosigkeit. Und ohne diesen Humor zeigte sich deutlich seine Erschöpfung und die unermesslich tiefe Quelle seines Schmerzes, dem sein Pferd am Morgen seine geradezu ohrenbetäubende Stimme verliehen hatte.
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