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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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herumwirbeln. An den Toren der Siedlung hielt er noch einmal kurz an, salutierte dem Kavalleristen mit dem roten Haar und sagte: »Longinus, dein Grabstein steht bei mir zu Hause. Solltest du jemals den Wunsch verspüren, ihn einmal selbst in Augenschein zu nehmen, brauchst du dich nur deinem Quartiermeister vorzustellen und ihm zu zeigen, dass du noch lebst.«
    Der Kavallerist salutierte ebenfalls. »Sollte ich jemals der Gesellschaft dieses Geistes überdrüssig werden, so werde ich das sicherlich tun. Danke.«
    Zu keinem Zeitpunkt erwähnte Corvus den Prokurator oder sprach zu ihm oder nahm ihn auch nur zur Kenntnis, während dieser stocksteif vor Angst zwischen den Vorderhufen des Krähenpferdes lag.
     
    Niemand bewegte sich, niemand sprach. Langsam verhallte das Hufgetrappel der Kavalleriepferde in der Ferne.
    Cunomar stand ganz still da, so still und reglos, dass nicht ein einziges Glied jener Ketten, die ihn noch immer gefangen hielten, klirrend gegen ein anderes schlug.
    Dennoch warteten sie ab, bis das Geräusch der Krähe, die aus dem zerstörten Dach von Airmids Hütte noch immer ihre Reethalme zupfte, lauter war als das Stakkato der mittlerweile weit entfernten Pferde. Und dann warteten sie noch einen Augenblick länger, bis Valerius schließlich etwas in einer Sprache sagte, die weder Eceni war noch Latein oder Gallisch, und der Kavallerist mit dem roten Haar nickte und zu Gunovar ging, um sie zu befreien.
    Sie war bloß eine Schmiedin und darum nicht allzu übel misshandelt worden. Mithilfe des Kavalleristen begann sie nun, sich an der Reihe der Bärinnenkrieger entlangzuarbeiten und die schweren Hand- und Fußfesseln zu zerschlagen, die die Krieger gefangen hielten.
    Benommen und noch immer etwas ungläubig legte Cunomar seine Handgelenke aneinander und schlurfte ein Stückchen vorwärts. Er lehnte die Stirn an Ardacos’ Schulter, in dem befreienden Bewusstsein, dass er dies durfte, in dem Bewusstsein, dass er Ardacos liebte, und überhaupt war er einfach zu erschöpft, um noch länger ohne Halt aufrecht stehen zu können. So war Cunomar auch gänzlich unvorbereitet auf jenen Ausbruch von Gewalt, der sich plötzlich jenseits des Pfostens ereignete.
    » Nein!« Der Schrei des Prokurators war noch höher als der eines Kindes und genauso wirkungslos.
    Doch seine flehentliche Bitte galt keiner menschlichen Instanz, die vielleicht noch ein Herz und eine Seele besaß, welche der Prokurator hätte erweichen können. Stattdessen hatte Valerius’ Schecke die Vorderbeine bereits vom Boden hochgehoben, bäumte sich auf der Hinterhand auf und blieb einen Augenblick so stehen, größer als jeder Mensch; und das Tier war die Verkörperung der Rache selbst und wurde nur noch stärker angetrieben von jenem Krieger, der kerzengerade auf seinem Rücken saß und mit einem leise gesprochenen Befehl und einem leichten Druck seiner Fersen das Pferd wieder hart auf die Vorderhufe fallen ließ, mitten auf jenen Römer hinab, der gerade noch versuchte, kriechend diesen Hufen zu entkommen.
    Mit Valerius’ leisem Befehl endete alle Stille, mit dem ruhigen, sicheren Aufbäumen des Tieres endete jegliches Gleichgewicht. Die tödlichen Hufe des Tieres trommelten auf den Prokurator ein, der Mann schrie auf, und dieser gellende Schrei und das Erleben des Schmerzes lösten eine Explosion von Brutalität aus, die in ihrer wilden, rasenden, blinden Ungezügeltheit noch weit über alles an diesem Morgen bereits Gesehene hinausging.
    Getrieben von einem Hass, der jenseits alles Menschlichen angesiedelt war, bäumte sich der Schecke abermals auf und ließ sich dann wieder auf den blutenden Körper hinabfallen, um ihn unter seinen Hufen zu zerquetschen, wieder und wieder und wieder, und gellend schrie das Tier seine Leidenschaft heraus, so dass sich die Stimme des Prokurators schließlich in dem schrillen Wiehern verlor, wie auch sein Körper sich langsam verlor in dem Durcheinander von Knochen und Fleisch und Zähnen, bis letztlich gar nichts mehr übrig war von jenem Mann, der das Auspeitschen der Bodicea befohlen hatte und die Vergewaltigung ihrer Töchter; nichts, bis auf jenen aus blutigen Eingeweiden bestehenden Brei und die darin verstreuten kleinen, weißen Überbleibsel von seinem Schädel.
    »Valerius, hör auf. Hör auf! Es ist vorbei. Du kannst aufhören.«
    Der rothaarige Kavallerist hatte mehr Mut als Cunomar. Er trat dicht neben das wütende Pferd, langte hinauf nach dessen Reiter und packte in jenem kurzen Moment, als

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