Die Seherin von Knossos
davon besitzt.«
Irmentis schüttelte zustimmend den Kopf, ohne den Blick von dem Leib ihres Bruders wenden zu können. Köstliche Hitze ergriff sie, und das Licht in ihrem Inneren begann zu pulsieren. Was war das? Als könnte er ihre Gedanken lesen, antwortete Phoebus: »Du empfindest die Begierde einer unbeschnittenen Frau, Irmentis. Das, was du empfinden würdest, hätte nicht Ileana ...«
Sie schrie auf, als er sie berührte, dann hörte sie seine Gedanken, spürte das pochende Verlangen in seinem Körper und wusste, dass er trotz der vielen Frauen, die er gehabt hatte, und trotz der vielen Kinder, die er gezeugt hatte, nichts und niemanden stärker begehrte als sie.
Das machte ihr Angst.
Sie wollte das nicht; sie liebte ihn, doch nicht auf diese Weise. Ihn durfte man nur aus der Ferne lieben; dies war zu nah. »Selbst hier weist du mich zurück, Irmentis?«, fragte er.
Sie machte den Mund auf, um ihm zu erklären, dass es nicht an ihm lag, dass es nicht seine Schuld war.
Dann war sie wieder wach und zurück in ihrem geschwächten, zitternden Körper. Als sie auf ihren Bruder blickte, rannen Tränen der Angst und des Mitgefühls über ihre Wangen. Die goldenen Adern wurden behutsam von seinem Körper getrennt, während man alles dafür vorbereitete, das Holz aus seinem Leib zu holen. Niko leitete die Operation, darum wandte sie sich an ihn, mit schmerzverzogenem Gesicht angesichts der unzähligen Stiche.
»Er lebt, Niko.« Der Blick aus seinen veilchenblauen, gequälten Augen traf auf ihren, und Irmentis begriff, dass Niko Phoebus ebenfalls liebte, und zwar nicht nur als Sippenverwandter. »Gib ihm das Elixier, Niko. Er hat nichts zu verlieren. Lass den Olympier, deinen teuersten Freund, nicht sterben.«
Er ging hinaus, als hätte er sie gar nicht gehört.
Niko eilte durch die Gänge, die Wendeltreppe hinab, und klopfte mehrfach hintereinander an die Tür. Sie schwang auf.
Er stand in Spiralenmeisters Laboratorium. Die Fläschchen und Krüge und Töpfe waren ihm so vertraut wie sein eigener Name. Wo hatte Spiralenmeister das Elixier wohl versteckt? So wie er den versponnenen Alten kannte, hatte er wahrscheinlich mehrere Fläschchen an verschiedenen Stellen versteckt und mit einem Code versehen, der nur für jene erkennbar war, die Spiralenmeisters Gedankengänge nachzuvollziehen verstanden.
»Suchst du hiernach?« Ileana trat aus dem Dunkel. Niko war blind für ihre Schönheit. Er sah nichts als das Fläschchen.
»Gib es mir, Ileana.«
Sie schloss es in ihre Hand. »Weshalb, Niko? Du versuchst, das Leben eines Mannes zu verlängern, der mich hasst, der mich nicht geschwängert hat. Ich werde meine Macht, jeden Respekt und die Bewunderung Aztlans verlieren, wenn kein Kind in meinem Bauch wächst.«
»Deine Sorgen sind mir gleich, Ileana. Gib mir das Fläsch-chen.«
»Bist du sicher, dass es wirkt, Niko? Bist du sicher, dass du damit seinen schon verkrüppelten Körper nicht weiter vergiftest?« Sie lachte, und Nikos Blut begann zu brodeln wie Lava.
»Was willst du, Ileana? Athanati werden? Das kann ich zur Wirklichkeit werden lassen. Ich kann dir ewige Jugend und Schönheit schenken.«
»Das bedeutet mir nichts, wenn du mich nicht zugleich schwängern kannst«, spie sie ihm entgegen.
»Das kann ich.« Für Phoebus würde er alles tun. Sogar diese Spinne von einer Frau berühren.
Sie lächelte und liebkoste ihn von Kopf bis Fuß mit Blicken. »Du bist durchaus ansehnlich, doch du machst dir nichts aus Frauen, nicht wahr, Niko?«
Tatsächlich hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, doch das würde er nicht zugeben.
»Wann sollen wir zusammenkommen?«
»Mein Angebot lautet so: Ich werde dir ein Kind machen, hier und jetzt; du gibst mir das Elixier, sobald ich meinen Samen vergossen habe.«
Sie atmete schneller, ihre Brüste schwollen vor seinen Augen an; bei den Göttern, war das abstoßend! »Ich werde dir etwas von dem Elixier geben, Niko. Genug für die Dienste, die du mir erweisen wirst. Du weißt, was es dich kosten wird, wenn du mehr davon haben willst.«
»Ich brauche nur genug für Phoebus, doch das brauche ich sofort!«
»Schwöre es, und Phoebus wird leben!«
»Ich schwöre es bei der Spirale und der Muschel.«
Er sah zu, wie sie etwas von dem Elixier in ein noch kleineres Fläschchen schüttete. »Ich will einen Blutschwur.«
Fluchend, zitternd und voller Angst, sich im nächsten Moment über sie erbrechen zu müssen, schnitt Niko seine Handfläche mit einer abgebrochenen
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