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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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im weißen Umhang stand mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Ausrufplatz. »Fürchtet euch nicht!«, rief sie. »Der Stier hat uns zum letzten Mal gegrollt!«
    Um sie herum hörte sie höhnische Kommentare: »Wer will uns das garantieren?« »Halt den Mund, alter Tor!« »Das kannst du den Toten erzählen.« Chloe sah die Gestalt im Umhang eine Geste ausführen, ob Segen oder Fluch, konnte sie nicht sehen, dann drehte sie sich langsam im Kreise, damit jeder sie erkennen konnte. Hreesos!
    »Ich bin Hreesos!«, flüsterte er ... eine leise Verkündung, die anschwoll und sich verstärkte wie eine Flutwelle.
    »Er ist tot!«, rief eine tapfere Seele.
    Die weiß gekleidete Gestalt deutete zurück. »Ich bin athanati geworden, aber dennoch werde ich herrschen. Ich habe Apis ins Auge geblickt und gesiegt. Tut es mir gleich, Bürger! Esst von Apis’ Fleisch und ergötzt euch an seiner Kraft. An meiner Kraft!«
    Priester führten Dutzende Stiere aus der Pyramidenbasis heraus. Zum Teil waren es Apis-Stiere, zum Teil gewöhnliche Rinder. Ein Altar wurde aufgebaut, auf dem, noch während Chloe zusah, der erste Stier geopfert wurde. Sie blickte aufs Meer hinaus, das genauso aussah wie zuvor - als hätte das Wasser nicht eben zahllose Menschen verschlungen. Begriff denn niemand, dass Stierfleisch allein sie nicht retten konnte?
    Hreesos sprach immer noch, nun von seinem Triumph über Apis, den Erdrüttler.
    Wie war das möglich? Wie war es möglich, dass er in diesem Moment die Treppe hinablief und Fetzen blutigen Stierfleisches an die wenigen Misstrauischen verteilte, die sich unter der Pyramide versammelt hatten? Fünf Tage war er tot gewesen! Wenigstens den Gerüchten zufolge.
    War das hier eine Seifenoper - wo man nie sicher sein konnte, dass die Toten wirklich tot waren, es sei denn, man hatte sie persönlich im offenen Sarg gekniffen? Kopfschüttelnd beobachtete Chloe, wie erst Pithoi mit Wein, dann Körbe voller Brot herausgebracht wurden. Was tat Hreesos da?
    »Herrin?«
    Sie wandte sich dem unbekannten Leibeigenen zu. »Iii?«
    »Die Kela-Ileana wünscht, dass du, wie erbeten, in ihrem Megaron erscheinst. Leibeigene werden deine Sachen nachbringen.«
    »Die Kela-Ileana schickt dich?«
    »Sehr wohl.«
    »In der Lagune sterben die Menschen, sollte sie nicht lieber helfen?«
    »Die Himmelskönigin wünscht dich zu sehen«, wiederholte er, diesmal entschiedener.
    »Habt ihr überhaupt kein Herz? Dort unten sterben Hunderte«, widersprach Chloe, während sie ihre Sandalen schnürte.
    »Du bist ihre Erbin; Hreesos’ Verlobte wünscht dich zu sehen.« »Bis vor wenigen Augenblicken gab es gar keinen Hreesos mehr und nichts zu erben!«
    Der Leibeigene lächelte gepresst. »Komm mit mir, Herrin.«
    »Nein.« Chloe war schon in der Tür. »Diese Menschen brauchen Hilfe.«
    »Meine Herrin erbittet freundlichst deine Anwesenheit.«
    »Es gibt Wichtigeres als ihre Wünsche«, erwiderte sie und trat über die Schwelle.
    »Nein«, verkündete er ernst, um ihr dann zu folgen.
    Chloe drehte sich um und klopfte ungeduldig mit dem Fuß. »Sie mag die Himmelskönigin sein, aber sie kann warten. Die können es nicht.«
    Er packte sie um die Taille, doch Chloe wehrte sich, strampelte sich frei und fuhr herum, um ihn zurechtzuweisen.
    Sie sah nichts außer seiner Faust.
    Cheftu lag bibbernd auf seinem Bett. Ihm war nicht wirklich kalt, er war nur ... unruhig. Im Umdrehen zog er ein Bein an, um den Druck auf die Schwäre zu lindern, die mit jedem Tag größer wurde. An seiner Seite entwickelte sich bereits eine zweite, die meist unter seinem Korsett verborgen blieb.
    »Spiralenmeister!«, rief Nestor. »Cheftu, wo bist du?«
    Cheftu kämpfte sich aus dem Morast nach oben, in dem er zu stecken schien, und versuchte zu antworten, um den jungen Mann an sein Bett zu holen, doch stattdessen hörte er, wie die Türen zu gingen und Nestors Schritte auf dem Steinboden sich nach oben entfernten.
    Was war mit ihm los?
    Du hast die Krankheit, sagte sein Verstand. Du hast das ein Dutzend Mal beobachtet. Kannst du noch stehen?
    Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, zwang Cheftu seinen Körper in die Lotrechte und machte einen Schritt von der Liege weg. Dann noch einen. Seine Beine schienen nicht im Takt zu arbeiten, und sein Schurz war von der Anstrengung schweißdurchtränkt. Auf einen Tisch gestützt, versuchte er nachzudenken, zu überlegen.
    Später, er würde es später noch einmal versuchen.
    Er fiel auf die Liege zurück.
    Als Chloe zu

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