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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Leibeigene schubste sie, und sie stolperte. Unfähig, sich auf den Beinen zu halten, stürzte sie vornüber in die Tiefe. Luft zischte an ihr vorbei, doch außer ihrem erstickten Schrei drang kein Laut an ihre Ohren.
    »Ich habe versucht, dich aufzuwecken, Meister, aber ich konnte dich nicht finden«, erklärte Nestor.
    Cheftu ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen.
    Mon Dieu, kaum hatten sie den Auslöser für die Krankheit entdeckt, fütterten sie die gesamte Bevölkerung damit!
    Es war zu spät! Er hatte nicht vollbracht, was in diesem Zeitalter seine Aufgabe gewesen wäre, und weil er nicht mehr von seiner Liege aufstehen konnte, war eine ganze Kultur zum Untergang verurteilt.
    Er war doch bestimmt nicht allein verantwortlich für ihren Fall?
    Doch letzten Endes würden alle sterben, die sich infiziert hatten.
    All dieses unermessliche Wissen, die Weisheit, die Erfahrung wären verloren.
    Mon Dieu, was sollte er tun?
    »Ist Kommandant Y’carus im Hafen?«
    Nestor wusste es nicht, also schickte Cheftu einen Leibeigenen los, es in Erfahrung zu bringen. Er bedeutete dem Jüngeren, sich zu setzen, und fragte sich, wie er wohl erklären sollte, was er jetzt brauchte.
    »Euer Spiralenmeister hat mich für diese Position ausersehen, weil ich die Zukunft kenne.«
    Nestor blinzelte, verängstigt und argwöhnisch zugleich.
    »In dieser Zukunft wird Aztlan untergehen.«
    Cheftu wandte den Blick ab und strich dabei das lange Haar über seine Schulter.
    »Euer Vermächtnis wird überleben, und wir müssen dafür sorgen, dass auch einige Menschen überleben. Wer hat noch nicht von dem Stier gegessen?«
    »Alle, die nicht auf der Insel sind.«
    »Nein. Hier. Wer auf Aztlan wurde möglicherweise übersehen?«
    Nestor lehnte sich zurück. »Die Leibeigenen, die Gebrechlichen, die Armen.«
    »Ich habe keine Armen gesehen.«
    »Sie leben nicht unter den Bürgern. Oftmals werden sie wegen persönlicher Vergehen aus ihren Sippen ausgestoßen, so-dass sie betteln oder Aztlan verlassen müssen, wenn sie überleben wollen.«
    Cheftu erhob sich, wobei er sich an der Rückenlehne des Steinsessels einhielt. »Wir müssen sie finden und in Sicherheit bringen.«
    »Ich werde ein paar Seesoldaten rufen.«
    »Nein! Ich fürchte, das müssen wir im Geheimen tun. Niemand darf von unserem Vorhaben erfahren, und niemand, der von dem Stier gegessen hat, darf auf dieses Schiff.«
    Nestor erbleichte.
    »Habe ich mich angesteckt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe es jedenfalls.«
    Chloe verzehrte sich nach einem Atemzug ohne Schafsaroma. Sie brauchte Luft. Widerlich! Was war das für ein Gestank? Sie würgte die mühsam eingeatmete Luft wieder aus und schwor sich, nur noch durch den Mund zu atmen. Schwefel!
    Sie war »wirklich« in der Hölle.
    Ihre Finger tasteten und fummelten an dem Knoten herum, mit dem ihre Handgelenke zusammengebunden waren. Fluchend, weil das Seil so brannte, schob sie es halb an den Händen hinauf. Sie konnte nicht sehen, ob praktischerweise etwas Scharfes wie zum Beispiel eine Rasierklinge oder eine Schere in der Wand steckte, darum würde sie ihre inzwischen blutigen Handgelenke an den Mund heben und das Seil durchnagen müssen, fast wie eine überdimensionale Ratte.
    Als hätte sie damit das Stichwort gegeben, hörte Chloe ein leises Trippeln und zuckte zusammen. Vielleicht war ihre Blindheit ein Segen.
    Die Arme so weit wie möglich nach unten streckend, legte sie sich nach hinten und rollte sich zusammen, um ihren Rük-ken durch die Schlaufe ihrer beiden Arme zu drücken, ohne sich dabei die Schulter auszurenken. Es tat weh, sie spürte Schweiß auf ihrer Stirn, doch dann waren ihre Arme unter den
    Beinen - und den vierzehn Rüschenschichten. Sie trug nicht eben Gymnastiksachen. Die Knie an die Ohren ziehend, schob sie ihre Hände unter den Füßen hindurch und begann, an den Knoten zu kauen.
    Tatsächlich schaffte sie es, die Knoten mit den Zähnen aufzuziehen, obwohl sie die Schnur bei ihren Turnübungen straff gezogen hatte. Der Leibeigene war nicht gerade ein Pfadfinder, und die Schnur war recht rau. Als Nächstes kam die Augenbinde. Ein paar Sekunden noch, dann war sie befreit! Endlich konnte sie etwas sehen.
    Chloe blinzelte ein paar Mal, rieb sich die Augen und sah sich um.
    Es gab viele Bezeichnungen und Abstufungen von Schwarz.
    Marsschwarz, schwarz wie die Nacht, schwarz wie eine schwarze Katze, Mitternachtsschwarz, dunkel wie ein Schwarzer im Tunnel, stygische Dunkelheit. Schwarz wie die Hölle.
    O

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