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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Gott, o Gott.
    Sie spürte Panik in ihrer Kehle aufsteigen wie in einem plötzlich versiegelten Rohr.
    Flipp nicht aus! O Gott. Du kannst es schaffen.
    Eins nach dem andern.
    Eins. Du kannst verflucht noch mal nichts sehen. Das ist schon okay - dir bleiben immer noch vier Sinne und deine Intuition.
    Sie tastete den Boden ab. Fest getretener Dreck.
    Der Schwefelgestank. Es war heiß wie in einer windlosen te-xanischen Augustnacht, und die Geräusche waren gespenstisch. Ein trauriges, geflüstertes Rufen und klagendes Stöhnen, das nicht eben ermutigend klang.
    Hoffnungslose Schreie. Dantes Warnung blitzte in ihrem Geist auf: »Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet.«
    Sie schüttelte den Kopf und redete sich wieder Mut zu. Was weiß ich bereits? Sibyllas Erinnerung blieb stumm, darum sammelte Chloe alle verfügbaren Fakten selbst zusammen.
    Das Labyrinth, Hades, war per definitionem ein Irrgarten.
    Es gab keine Lichtquellen. Sie war gefallen, tief gefallen. Wenigstens war es ihr so vorgekommen. Aber nicht so tief, dass sie sich irgendwas gebrochen hätte.
    Man wollte sie hier sterben lassen.
    Kein guter Gedanke, Chloe.
    Sie stützte den Kopf auf die Knie.
    Denk nach! Der Irrgarten, durch den du einen Weg gefunden hast, war ein Kunstwerk - ein Mustermotiv. Vielleicht ist es hier ja auch so?
    Woher soll ich das wissen, wenn es zu dunkel zum Sehen ist?
    Sie würde sich vorstellen, sie sei blind.
    Sie richtete sich auf, machte einen Schritt nach vorn, rutschte aus und stürzte einen senkrechten Schacht hinab, bis ihre wild schlagenden Hände schließlich einen Sims zu fassen bekamen. Mit nackten Zehen und Fingern kämpfte sie sich die glatten Kalkwände wieder hoch. Oben kauerte sich Chloe zusammen, laut atmend und mit klopfendem Herzen.
    Ein Teil ihrer Selbst hätte sich am liebsten eine Klippe hinuntergestürzt und allem ein Ende gemacht. Sie hatte grauenvolle Angst, sie steckte an einem Ort, der darauf ausgelegt war zu töten - oder einen mindestens in den Wahnsinn zu treiben.
    Dann dachte sie an Cheftu. Sie hatten so vieles durchstehen müssen, doch sie waren hier. Und zwar gemeinsam. Sie hatte immer noch nicht seine Hände gezeichnet oder ihm von ihrer Familie erzählt. Oder ein Kind von ihm bekommen. Nein, sie würde Cheftu auf gar keinen Fall verlassen.
    Ihr Magen knurrte, und Chloe merkte, dass ihre Denkfähigkeit reichlich eingeschränkt bleiben würde. Sie konnte es ohne Nahrung aushalten. Nicht fröhlich, nicht gut gelaunt, aber immerhin aushalten. Wasser - mit dem Wasser war das nicht so einfach, vor allem, da sie schwitzte wie ein Muli.
    Was gäbe ich nicht für eine Flasche Mineralwasser!
    Auf Händen und Knien krabbelte sie vorwärts, von dem Sims weg. Dann erhob sie sich vorsichtig, fasste nach oben und berührte eine Decke. Sie würde so weit gehen wie möglich, um festzustellen, ob sie die Anlage des Labyrinths durchschaute. Es musste eine innere Ordnung geben. Man baute nichts ohne eine innere Ordnung, ohne eine Vorlage; irgendjemand musste sich doch etwas dabei gedacht haben! Sie musste nur den richtigen Jemand erraten.
    Nach einem trockenen Schlucken tastete sich Chloe vorwärts.
    Die Götter schienen auf Phoebus zu hören. In den Tagen nach seinem Aufstieg auf die Pyramide senkte sich absolute Stille über Aztlan. Kein einziger Schauer erschütterte die Erde, nicht eine hohe Welle zuckte draußen auf dem Meer auf. Die im Boden des Imperiums klaffenden Wunden grünten unter frischem Wachstum, und das Feuer, das den Bürgern warnend unter den Füßen gebrannt hatte, kühlte wieder ab.
    Apis’ Zorn schien verraucht; kein Schwefelgestank, keine Dampfwolken. Der Himmel war blau, Schwalben flatterten im Wind, Schmetterlinge landeten auf den Häusern, ein Segenszeichen der Göttin Kela. Die Toten hatten in den Höhlen von Paros ihren letzten Frieden gefunden. Ein paar wenige Sippenangehörige waren nach Delos zurückgekehrt, um dort eine neue, schönere Stadt für die Sippe der Muse zu erbauen.
    Aus dem gesamten Imperium kamen Menschen, um die verbrannten Felder von Naxos zu säubern. Seesoldaten und Bauleute von Siros brachten das Bewässerungssystem durch bessere Aquädukte auf den neuesten Stand. Frauen aus Tinos brachten Samen, die sie liebevoll in die von Asche bedeckte Erde legten, wobei sie die Toten ehrten und Kela um Fruchtbarkeit anflehten.
    Aus Folegandros angereiste Priester machten sich dran, neue Arikat-Steine für Gebäude, Wachtürme und Mauern zu gießen. Der Berg Krion

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