Die Seherin von Knossos
Chloe. So rein wie das Metall ist die Reinheit meiner Liebe. Wie das Silber und das Gold sind auch unsere Leben miteinander verwoben und werden für alle Zeiten miteinander verbunden sein, selbst wenn wir fortan getrennte Wege gehen müssen.«
Getrennte Wege . Er spürte unerträglichen Schmerz, eine unerträgliche Leere. Seine Brust hob sich, doch jeder Atemzug brachte nur neue Qualen. Der Priester kehrte zurück, ermahnte ihn, aus einem Alabasterkelch zu trinken und sich wieder auszuruhen.
In einem Meer zusammenhangloser Erinnerungen treibend, spürte der Mann, wie seine Augen wieder verbunden wurden. Auf diese Weise wurde sein Ka daran gehindert, vor den giftigen Ukhedu zu fliehen, die immer noch in seinem Körper hausen mussten. Beschütze mich, dachte er, bevor der Schlaftrunk ihn in die Dunkelheit entführte.
Noch leicht unterkühlt nach seinem Bad wurde Imhotep in die Dunkelheit des Schlafgemachs geführt. Senwosret ruhte auf seinem Bett, den geschorenen Kopf abgedeckt, die großen Hände in die Leinendecke gekrampft. Ipiankhu wachte in vollem Hofstaat an seiner Seite, eine Phalanx von Priestern zu seiner Rechten.
Imhotep sah den Wesir an, der kaum merklich nickte. Sen-wosrets Zustand hatte sich nicht gebessert. Pharao, ewig möge er leben!, verlor allmählich sein Augenlicht. Nach den gebührenden Begrüßungen nahm Imhotep die allmorgendliche Untersuchung vor.
Jeder Tag war trüber für Pharao und trüber für Ägypten.
»Kannst du meine Finger zählen, Meine Majestät?« Imhotep hielt zwei Finger vor Senwosrets Gesicht. Im Raum wurde es still. »Meine Majestät?«
»Halt sie mir hin, dann werde ich sie schon zählen!«
Langsam senkte Imhotep die Hand. Pharao war blind. Ein blinder Horus. Das war kein gutes Omen.
Imhotep wandte sich an Ipiankhu, wobei er sehr darauf bedacht war, sich die Angst nicht anmerken zu lassen. Eilig meldete sich der Wesir zu Wort: »Nein, Meine Majestät, diese Prüfung ist heute nicht nötig. Wir werden sie morgen vornehmen.«
Er deutete sinnloserweise auf Imhotep.
»Hemu neter Imhotep ist aus Avaris zurückgekehrt.
Vielleicht hat er ja von einem Medikament gehört, das Meiner Majestät das Augenlicht zurückbringt?«
Die Hauptsache war, dass Pharao nicht die Hoffnung verlor. Währenddessen ließen er und Ipiankhu alle Höfe Ägyptens und der umgebenden Länder erkunden, ob man dort nicht von einem Heilmittel wusste - egal welchem. Pharao durfte auf gar keinen Fall den Mut verlieren. Wenn die Rekkit erfuhren, was hier vor sich ging, dann würde es zusätzlich zu der Hungersnot eine Massenhysterie geben. Ein hungriges Volk war ein leicht entflammbares Volk. Dazu die aufmerksamen Beobachtungen des hier weilenden Abgesandten und der Soldaten aus Aztlan, und Ägypten würde begreifen, dass die Götter dem Land nicht wohlgesonnen waren.
»Wie war die Reise nach Noph?«, fragte Senwosret. »Hast du ein Heilmittel gefunden?«
Imhotep fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, wodurch er die loseren darunter zum Klappern brachte. »Ich hätte einen Breiumschlag, den Meine Majestät ausprobieren kann«, sagte er. »Damit er wirklich wirksam ist, müsste er jedoch bei Vollmond aufgetragen werden.«
»Wie du weißt, hatten wir erst vor kurzem Vollmond, Meine Majestät. Bis zum nächsten ist es über eine Woche hin«, erläuterte Ipiankhu, noch bevor Pharao nachfragen konnte.
»Was ist mit dem Mann, den du ins Leben zurückgebracht hast?«, fragte Senwosret.
Ipiankhu sah Imhotep neugierig an. »Es ist nur ein Patient, Meine Majestät«, antwortete Imhotep ausweichend. »Man hat ihn niedergetrampelt in der Kammer Apis’ gefunden. Ich versuche, ihn wieder gesund zu pflegen, obwohl es ihm gleichgültig scheint, ob er lebt oder stirbt.«
»Wer ist er?«
»Iii ... das weiß ich nicht. Seine Verletzungen sind von so schwerer Art, Meine Majestät, dass er erst ein einziges Mal erwacht ist, als meine Leute ihn gepflegt haben. Er fiel beinahe augenblicklich in einen tiefen Schlaf zurück, aus dem er sich nicht wecken lässt. Bei Isis, ich habe kaum Hoffnung, dass er überlebt.«
»Welche Farbe haben seine Augen?«
»Seine Augen?«, wiederholte Imhotep überrascht und sah zu Ipiankhu hin.
»Pharao, ewig möge er leben!, hat geträumt, dass ihm ein Mann mit goldenen Augen das Augenlicht zurückgeben wird«, sagte der Wesir. »Meine Majestät kennt niemanden mit solch eigenartig goldenen Augen.«
»Seine Augen sind verbunden, Meine Majestät«, antwortete Imhotep.
»Er kann
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