Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
dann lief sie zur Seite hinaus, beugte sich vor und atmete tief durch. Ihre Muskeln zitterten, und ihr war schwindlig.
    »Sibylla, in dieser Form brauchst du gar nicht anzutreten«, schalt eine wohlmeinende Stimme. »Bei allen anderen Kämpfen bist du die stärkste Herausforderin, doch alles nützt dir überhaupt nichts, wenn du Kela-Ileana nicht einholst.«
    Völlig außer Atem, fragte Chloe: »Ist meine Zeit besser geworden?«
    »Gegenüber der letzten Zeit des Stieres schon.« Die Frau lachte und schnalzte mit der Zunge. Chloe hob den Kopf und sah sie an. Trotz ihrer kurzen Haare, der Tunika und ihrer Bleiglanz-Schminke war sie von Kopf bis Fuß eine Trainerin. Visionen eines Feldhockeyspieles tanzten durch Chloes Kopf. Offenbar war auch Sibylla keine gute Läuferin.
    »Was für eine Zeit läuft Kela-Ileana?«
    »Ungefähr dreimal so schnell wie du.«
    Chloe fragte nicht, wie diese Frau das messen wollte, so ganz ohne Stoppuhr oder auch nur einer Vorstellung davon, wie lange eine Sekunde war. Dreimal schneller war unschlagbar. Dann würde sie eben nicht antreten. Na und? Sie war wegen der Katastrophen hier, nicht wegen eines Wettrennens.
    Richtig?
    Im Geist warf sie einen Blick auf Sibylla. Die Frau weigerte sich zu glauben, dass Chloe da war, so als würde es etwas nützen, sie zu ignorieren. »Ich muss Ileana schlagen«, heulte ihr Gastkörper auf. »Das ist meine einzige Chance. Wenn nicht, werden wir alle noch länger von ihr regiert! Jeden Sommer wird sie schlimmer, achtet sie ihre Mitmenschen weniger, verletzt und verwüstet sie hemmungsloser!«
    »Ich dachte, der Goldene regiert«, wandte Chloe ein.
    »Richtig. Doch sie regiert durch ihn«, erwidert Sibylla.
    »Nein! Ich kann doch nicht mit mir selbst sprechen! Ich verfalle langsam dem Wahnsinn!«
    »>Hinter jedem großen Mann steht eine noch größere Frau?<«, fragte Chloe.
    Sibylla ignorierte sie.
    »Es ist nicht so, dass sie nur selbstsüchtig wäre. Sie ist eine Mörderin. Wir sind alle in Gefahr.«
    »Was kann sie denn anstellen?«, fragte Chloe schroff.
    »Sie ist Kela-Ileana, sie kann Aztlan zerstören, wenn es ihr beliebt.«
    »Wenn ihr diese Visionen nicht zuvorkommen«, ermahnte Chloe Sibylla.
    Die Trainerin war davon spaziert, und Chloe sah die anderen Läuferinnen in Gruppen von zweien oder dreien auseinandergehen. Der Januarwind schnitt durch ihre leichte Tunika, und sie fröstelte. Wieder senkte sich ein Gefühl von Einsamkeit über sie, und langsam kehrte sie zurück zum Palastbau.
    Wenn nur Cheftu hier gewesen wäre.
    Nun, dieses Rennen war nicht Chloes Problem. In ihrem Geist wiederholte Sibylla immerzu: »Ich muss gewinnen, ich muss gewinnen. Wir sind alle in Gefahr. Ich muss gewinnen. Wir sind in Gefahr .«
    ÄGYPTEN
    Die Worte donnerten durch sein Gehirn. »Sie ist in Gefahr, sie ist in Gefahr, sie ist in Gefahr, Sieistingefahrsieistingefahr«, zusammengefügt zu einer Litanei der Angst, die sich durch seinen gepeinigten, müden Geist wühlte und an jeder Stelle bohrte, wo der wahre Mensch schlief, in Kummer und Trauer gehüllt und nicht willens, zu erwachen.
    Scharf und dünn wie die Klinge eines Degens drang sie - »Sieistingefahrsieistingefahrsieistingefahr« - in den Menschen darunter und zwang, allein durch die abwegige Möglichkeit, dass »sie« seine Sie war, seinen Geist aus der Deckung.
    Nach oben, durch den Tunnel gnädigen Vergessens hindurch und hinein in die Schmerzen seines Körpers: angeschwollene Beine, einen stechenden Brustkorb und Atemzüge, die bei jedem Ausatmen stockten und brannten. »Sie ist in Gefahr, sie ist in Gefahr .« Die Worte wurden klarer, als sein Geist in den Harnisch des Bewusstseins stieg. Helligkeit glomm um ihn herum auf, und er öffnete die Augen. Seine Wimpern raschelten leise, als er zu blinzeln begann, dann begriff er, dass seine Augen verbunden waren.
    Ein tiefer Atemzug fing sich in seiner Brust, und er krümmte sich hustend zusammen. Schnell entfernten fremde Hände das Leinen von seinen Augen, eine Stimme schrie auf, und er blinzelte, um die plötzlichen Tränen aus den Augen zu vertreiben. Weihrauch stach ihm in die Nase und im Hals. Durch den gräulichen Rauch hindurch sah er knallbunte Bilder an den Wänden; Osiris und Thoth und Ma’at ... Die Tür flog auf, und ein kahlköpfiger Mann kam in den Raum gelaufen.
    Sein geschorener Kopf wies ihn als Priester aus. Er war mittelgroß, und seine Schultern waren gebeugt wie die eines Schreibers. Gold hing an seinen Ohren und war um seine

Weitere Kostenlose Bücher