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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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dunkel und spät; der Wein und die Neugier peitschten Imhotep an. Mit einer entschiedenen Bewegung riss er den Verband von den Augen des Opfers. Falls der Mann sterben sollte, würde das Imhoteps Geheimnis bleiben. Wenn er überlebte und goldene Augen hatte, dann würde Imhotep für alle Zeiten als jener Neter berühmt werden, der Senwosret das Augenlicht zurückgegeben hatte. Waren seine Augen nicht golden, würde Imhotep den Mann mit gutem Gewinn verkaufen.
    Entweder das, oder der Mann könnte unter den vier Erwachsenen sein, die von den Aztlantu gefordert wurden. Nachdenklich fuhr Imhotep mit der Zunge über seine losen Zähne. Der Mann war gebissen worden, möglicherweise von einem der Stiere. Es würde der Ma’at durchaus entsprechen, wenn eine der aztlantischen Geiseln krank wurde und an Blutvergiftung starb, denn schließlich hatte man die Menschen ihrem Heimatland gestohlen.
    Der Mann atmete tief ein und schlug die Augen auf. Imhotep stockte der Atem. Die Augen des Mannes waren golden wie die einer Katze. Er blinzelte, sah zu Imhotep auf und stemmte sich mit schmerzverzogenem Gesicht hoch. »Wo bin ich?«
    Sein Ägyptisch war fehlerfrei, sein Blick klar.
    »Noph.«
    Der Mann schaute sich um, ließ seinen Blick von den Webmatten auf dem Boden zu den niedrigen Tischen und Schemeln wandern, die überall im Raum standen. »Also wieder in Ägypten. Haii, zu welcher Zeit?«
    Imhotep sah zur Fensteröffnung hoch. »Kurz vor der Dämmerung.«
    »Nein . « Ein ungeduldiger, herrischer Ton schlich sich in seine Stimme. »Wer ist auf dem Thron?«
    »Pharao Senwosret, ewig möge er leben!«
    Der Mann erbleichte und sackte zurück auf seine Ellbogen. Plötzlich war seine Haut ergraut, und seine Augen wirkten leer. Er murmelte den Namen des Pharaos wie eine Beschwörungsformel, und Imhotep rückte sein Amulett gegen den Bösen Blick zurecht.
    »Wie lange war ich krank?«
    Ohne den Mann aus den Augen zu lassen, überschlug Imhotep die Tage. »Nicht ganz zwei Wochen.« Er lächelte und rief nach einem Schreiber. »Schick einen Boten nach Noph, zu einem User-Amun. Teile ihm mit, dass der Patient lebt und er mir den vereinbarten Betrag schuldet.« Der junge Schreiber zeichnete die Anweisung verschlafen auf einem Stück Ostra-kum auf und stolperte aus dem Zimmer. Imhotep wandte sich wieder an seinen Patienten. »Man hat dich in der Apis-Kammer gefunden. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
    Der Mann lachte, ein kratzender Laut, aus dem Verzweiflung und ein Anflug von Irrsinn sprachen. Er blickte auf seine bandagierte Hand und streifte mit schnellen Bewegungen das Leinen ab. Mit den Zähnen riss er die Knoten und die Schienen weg, dann hielt er die Hand hoch, betrachtete sie ängstlich, berührte die Fingerspitzen. Sie blieben reglos und steif.
    »Meine Hand«, sagte er leise.
    »Sie braucht noch Zeit. Sie war an mehreren Stellen gebrochen.«
    »Ich weiß, der Stier hatte mich erwischt, und dann schleifte er ...« Er schluckte und atmete aus. »Nicht perfekt, aber ich kann sie immer noch gebrauchen. Danke, Gott«, fügte er leise hinzu, und Imhotep fragte sich, welchem Gott er wohl dankte. Apis? Ptah?
    »Wer bist du, Herr?«
    »Cheftu Sa’a Khamese.«
    Imhotep zog die Stirn in Falten. »Welcher Khamese? Woher kommst du? Wie bist du in der Kammer des Apis-Stieres gelandet?«
    Der Mann starrte ihn schweigend an. Imhotep wartete.
    Oft förderte das Schweigen die tiefsten Wahrheiten zu Tage. Nervöser Schweiß begann auf Cheftus Schläfe und Oberlippe zu perlen, und plötzlich wirkte er wieder verängstigt.
    Auf das leise Räuspern eines Sklaven hin drehte sich Imhotep um. »Der Wesir erwartet dich, Herr.«
    Imhotep ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. Woher hatte Ipiankhu das gewusst? Er blickte auf den nervösen Ägypter Cheftu. »Bring den Wesir her«, befahl er. »Bring uns Bier und dem Patienten etwas Getreidegrütze.« Der Diener verbeugte sich und Imhotep sprach wieder mit Cheftu.
    »Welches Gebrechen überwölkt den Blick eines Menschen mit jedem Tag mehr wie einen vergifteten Teich, bis er schließlich erblindet?«
    Der Mann blinzelte ausdruckslos, und Imhotep hätte beinahe laut aufgelacht. Pharaos Traum! Iii! Zweimal waren seine Prophezeiungen eingetroffen, doch diesmal handelte es sich lediglich um die Wunschträume eines alternden Herrschers! Imhotep hätte mit ihm wetten sollen! Er hörte Ipiankhus Schritte, doch er vermochte den Blick nicht von dem schwitzenden Ägypter zu wenden. Diesmal hatte

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