Die Seherin von Knossos
W’rer-Priesters, auf die sie den Mann gelegt hatten.
Mit seinem Zeigefinger schrieb er die Symbole für Feuer, Wasser, Erde, Wind hinein. Dann folgten die Zeichen, die Buchstabenzahlen, auf denen Aztlans Macht gründete. Seine Hand als Lineal einsetzend, zog er einander schneidende Winkel, so wie es ihm der Spiralenmeister in der Skolomantie persönlich beigebracht hatte.
Noch ein hastiger Blick über die Schulter, dann zog Imhotep das Erbstück seines Großvaters, eines früheren Imhotep, heraus. Eine goldene Pyramide lag in seiner Handfläche, gekrönt von einem winzigen Juwel, dem Samen der Schöpfung, der das schwache Licht in alle Ecken des Raumes lenkte. Imhotep setzte die Pyramide auf der Asche ab, sodass sie mit ihren magischen Dimensionen die Kreise füllte, dann holte er eine Spiegelscherbe hervor.
Gleich darauf war das durchdringende Licht aus dem Stein zwischen die Augen des Verletzten gerichtet, direkt auf das unsichtbare dritte Auge des Verstandes. Mit unendlich winzigen Bewegungen weckte Imhotep den Geist des Mannes.
»Wieso bist du hier?«
»Ich bin ein Werkzeug«, antwortete der Geist des Bewusstlosen.
»Wessen Werkzeug?«
»Des höchsten Gottes.«
Einen Moment wurde Imhotep unsicher.
»Kämpfe gegen diesen Tod um dich herum an«, befahl er.
»Wozu?«, fragte der Mann.
»Was ist dein größter Wunsch?«, fragte Imhotep.
»Sie für alle Zeit zu lieben.«
»Wen?«
Keine Antwort.
»Wen?« Doch die Frist war um; die Reinheit der Gefühle und Gedanken war befleckt worden. Wenigstens wusste er jetzt, wo er ansetzen musste, dachte Imhotep. Sorgsam sammelte er seine Gerätschaften wieder ein und trat die Asche auseinander. Der Mann würde überleben. Imhotep würde ihn hintergehen müssen, doch er würde ihn zwingen zu leben.
Er legte den Mund an das Ohr des Mannes. »Sie ist in Gefahr«, flüsterte er. »Größter Gefahr. Vielleicht ist es schon zu spät. Sie hat niemanden außer dir. Kannst du ihr helfen?«
Leidenschaftslos beobachtete er, wie der Mann bekümmert die Lippen zusammenpresste. Der Patient war todkrank; ihn zu beeinflussen, würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Imhotep zog einen Hocker an die Bettkante.
»Sie ist in Gefahr«, wiederholte er. »Größter Gefahr ...«
KAPHTOR
Sie lief Gefahr, sich den Knöchel zu brechen, begriff Chloe. Wie konnten diese Frauen auf einem derart unebenen Boden rennen? Im Unterschied zu den Aschenbahnen ihrer Zeit war diese Rennbahn lediglich ein ausgetretener Ziegenpfad, voller Steine und Schlaglöcher. Was würde sie nicht für ein Paar Adidas geben, dachte Chloe.
Ich sollte mich glücklich schätzen, dass ich seit mehr als einem Jahr nicht mehr geraucht habe, sonst würde ich überhaupt nicht rennen. Punktum. Obwohl sie äußerlich Sibylla war - sie war in ihre Haut geschlüpft und hatte sie übergestreift wie Ela-stan wusste Chloe, dass sie in ihrem eigenen Körper steckte. Ihre eigenen Lungen, Muskeln, Kräfte und Schwächen mussten gestählt werden, wenn sie dieses Rennen bestehen wollte.
Die Augen mit der Hand abschirmend, beobachtete sie, wie ihre Mannschaftskameradin um die Kurve kam. Die junge Frau, eine Muschelsucherin, rannte aus Leibeskräften, mit pumpenden Armen und Beinen, hüpfenden Brüsten und in der Luft flatternden, mit Bändern geschmückten Zöpfen.
Chloe spannte ihren Körper an und streckte die Hand nach dem Abschlag ihrer Kameradin aus. Der kam so kräftig, dass Chloe das Handgelenk wehtat, dann war sie losgelaufen, barfuß und vollauf damit beschäftigt, einerseits mit einem Arm ihre nackten Brüste festzuhalten und andererseits nicht in ein Loch oder über einen Stein zu stolpern. Die fernen Anfeuerungsrufe verhallten, sobald sie in ein schmales Tor bog, wo ein Bach neben ihr her plätscherte. Chloes Atem hallte in ihren Ohren, und sie merkte, wie ihre Lungen zu brennen begannen.
Ein kurzer Moment des Zögerns, dann war sie über den Bach hinweg, schlug sich durch das kleine Gehölz . autsch, autsch, Kiefernnadeln autsch! Sie hüpfte auf einem Fuß und war gleich darauf wieder auf dem Ziegenpfad. Schweiß tropfte ihr über den Rücken, dann sah sie wieder die wartenden Frauen. Ich hasse Wettläufe, dachte Chloe und raste los.
Sie hasste Wettläufe, aber Verlieren hasste sie noch mehr.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht, des steinigen Pfades wegen, vollkommen außer Atem und ganz auf ihre wartende Mannschaftskameradin konzentriert, zwang sie ihre Beine, schneller zu laufen. Sie klatschte die Hand des Mädchens ab,
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