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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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sich Sorgen um Lucy.
    Dann erzählte ich ihr, Ernessa habe einen schlechten Einfluss auf sie. Sie ermutige sie, sich selbst zu vernachlässigen. Ihre Gesundheit zu zerstören.
    »Dieses Mädchen war einmal bei mir, am Anfang des Schuljahrs«, sagte Miss Norris. »Ihr Griechisch ist sehr gut. Ich sagte, sprachlich könne ich ihr nichts mehr beibringen. Wenn sie wolle, könnten wir aber die griechischen Historiker lesen. Sie rümpfte nur die Nase.«
    »Ich habe Angst vor dem, was sie mit Lucy macht. Lucy ist zu schwach, um sich zu wehren. Sie hält sich nicht für krank. Die Mädchen sagen ständig, ich solle mich nicht einmischen. Es gehe mich nichts an.«
    »Du musst deinem Instinkt folgen. Du bist ein guter Mensch. Tu, was du für richtig hältst. Gib nichts auf die anderen. Die Meinung der Menge ist oft böse, und, wie Sophokles sagt: ›Niemals stirbt, was böse ist.‹«
    Heute hatten wir begonnen, eine Passage aus der Odyssee zu übersetzen. Sie war zu schwer für mich. Den größten Teil übersetzte Miss Norris. Odysseus beschwört die Geister aus der Unterwelt herauf und opfert ihnen das Blut schwarzer Widder. Er gießt es in einen tiefen Spalt, um ihnen die Sprache zurückzugeben. Ich habe die Übersetzung dabei. Die Begegnung mit seiner toten Mutter hätte von mir geschrieben sein können.
     
    Also sprach sie; da schwoll mein Herz vor inniger Sehnsucht, Sie zu umarmen, die Seele von meiner gestorbenen Mutter.
    Dreimal sprang ich hinzu, an mein Herz die Geliebte zu drücken;
    Dreimal entschwebte sie leicht, wie ein Schatten oder ein Traumbild,
    Meinen umschlingenden Armen; und stärker ergriff mich die Wehmut.
    Und ich redete sie an, und sprach die geflügelten Worte:
    Meine Mutter, warum entfliehst du meiner Umarmung?
    Wollen wir nicht in der Tiefe, mit liebenden Händen umschlungen,
    Unser trauriges Herz durch Tränen einander erleichtern?
     
    Alles ist ungerecht. Körper und Geist trennen sich und verschwinden, wie Nebel. Man kann nicht an einem von ihnen festhalten oder beide wieder vereinigen. Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, meinen Vater zu umarmen und ihm die Sprache zurückzugeben, doch selbst in meinen Träumen schwebt er immer davon, ohne etwas zu sagen.
30. April
Nach dem Abendessen
    Ich hatte einen Riesenstreit mit Lucy und bin endlich frei. Frei vom Traum einer perfekten Freundschaft. Ich wollte sowieso nie, dass er wahr wird. Er sollte ein Traum bleiben und verschwinden, wie Träume es tun. Eines Tages würde ich feststellen, dass ich nicht mehr von dem Mädchen in dem blauen Zimmer träumte. Dann würde ich einen anderen Traum haben.
    Während der Ruhezeit ging ich in ihr Zimmer. Sie lag auf dem Bett, die Augen halb geschlossen. Sie hatte nicht die Kraft, sie zu öffnen oder ganz zu schließen. Ich setzte mich auf die Bettkante und schob ihr das Haar aus der Stirn, es war so glatt wie Metall. Ihre Haut war feucht vom Schweiß, lose Haarsträhnen klebten daran. Sie versuchte zu lächeln.
    »Lucy, ich weiß, du wirst wieder krank. Ich mache mir Sorgen. Ich muss deine Mutter anrufen.«
    »Ich bin nicht krank, ehrlich. Ich weiß, dass ich nicht krank bin. Es ist etwas anderes. Es lässt mich krank aussehen, obwohl ich es nicht bin.«
    »Willst du nicht weg hier? Weg von diesem Ort? Willst du nicht, dass deine Mutter dich abholt?«
    »Nein, ich habe keine Angst. Du kannst sie nicht anrufen. Sie würde auf der Stelle kommen. Mitten in der Nacht.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Weil du glauben möchtest, dass ich noch die alte Lucy bin. Das ist ja das Traurige. Du warst mit der alten Lucy befreundet, nicht mit mir. Die neue, die echte Lucy, ist dir egal. Du willst sie nicht mal kennen lernen.«
    »Das ist alles Ernessas Schuld«, brüllte ich los. »Sie hat dich völlig gegen mich eingenommen. Darum sagst du so was.«
    »Sie hat nie etwas Gemeines über dich gesagt. Ich habe mich verändert, das ist alles. Warum willst du immer ihr die Schuld geben?«
    »Weil sie an allem schuld ist. Wäre sie nicht hergekommen, hätten wir ein wunderbares Jahr zusammen verbracht. Sie hat alles kaputtgemacht. Ich hasse sie so sehr, dass ich sie am liebsten töten würde.«
    »Du machst mich ganz krank mit deinem Gerede«, sagte Lucy und setzte sich mit plötzlicher Kraft im Bett auf.
    Ich packte sie am Arm und zog sie vom Bett zum Badezimmer. Sie war leicht, aber ich hatte Mühe, sie mitzuzerren. Wir standen nebeneinander, passten kaum vor den schmalen Spiegel an der Badezimmertür. Sie stützte sich schwer

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