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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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wollte nur raus hier, weg von Miss Brody, damit sich ihre beiden Gesichtshälften wieder zusammenfügten, damit alles wieder normal aussah. Ich durfte gehen. Ich rannte in mein Zimmer, legte mich ins Bett, zog mir die Decke über den Kopf und legte mein Kopfkissen oben drauf. Über das Zittern und Weinen war ich hinaus. Ich war erstarrt.
29. April
Mittagszeit
    Ich muss einen Monat nachsitzen: keine Wochenendprivilegien mehr. Mrs. Halton sagte es mir heute Morgen nach dem Frühstück. Sie lächelte dabei und fügte hinzu: »Du kannst von Glück sagen, junges Fräulein, dass du so milde davonkommst. Anscheinend möchtest du das Elend an unserer Schule noch vergrößern.«
    Alle gehen mir aus dem Weg, sogar Sofia, wenn auch auf ihre nette Art. Ich spüre es. Sie wissen alle, was passiert ist, wollen aber nichts sagen. Natürlich finden sie es ekelhaft. Aber es hat auch sein Gutes, denn jetzt denken sie nicht mehr an Mr. Davies und Miss Bobbie. Nur noch an mich.
    Sofia hat endlich abgenommen, genau die neun Kilo, von denen sie die Dellen an den Beinen bekam. Sie macht irgendeine makrobiotische Diät und isst nur gerösteten braunen Reis, den sie am Wochenende in der Küche zubereitet. Nach einem Monat hat sie den Appetit verloren. Jetzt ist sie dünn, so wie sie immer sein wollte. Sie sieht hager und ängstlich aus.
    Heute Morgen bekam ich Lucy wieder nicht aus dem Bett. Ich gab es auf und ging allein zum Frühstück.
    »Was ist los?«, fragte Kiki.
    Ich schaute hoch, überrascht, dass mich jemand ansprach.
    »Mit mir?«
    Alle starrten mich an, obwohl ich gar nichts machte. Es gab mal ein Mädchen namens Margaret Rice, das steif wie ein Brett durch die Gegend lief. Sie schaute immer geradeaus, mit leerem Gesichtsausdruck. Ich habe sie nie mit jemandem sprechen sehen. Ich habe sie nie lächeln sehen. Wir nannten sie Zombie. Jetzt bin ich der Zombie.
    »Du hast mindestens zehn Minuten in deinen Kaffee gestarrt«, sagte Kiki. »Na los, trink schon.«
    »Ich dachte gerade an Lucy«, sagte ich, weil Kikis Aufmerksamkeit mich ermutigt hatte. »Sie benimmt sich so wie damals, bevor sie richtig krank wurde. Sie ist morgens zu erschöpft zum Aufstehen, obwohl sie stundenlang schläft. Jemand muss ihre Mutter anrufen.«
    »Ach, vergiss es«, meinte Kiki. »Mir kommt sie ganz normal vor. Sie soll ihre Mutter selber anrufen, wenn sie will.«
    »Aber sie begreift nicht, wie krank sie ist. Sie sieht furchtbar aus.«
    »Lass sie in Ruhe. Sie kann auf sich selbst aufpassen«, sagte Carol. »Sie hat jetzt einen tollen Körper. Kein Gramm Fett. Sogar ihr Bäuchlein ist weg. Ich wünschte, ich sähe aus wie sie.«
    Ich schaute in den Kreis verärgerter Gesichter. Sie ahnen nicht, dass etwas Furchtbares passieren wird. Oder sie wissen es schon. Sie wollen Lucy opfern, um sich selbst zu schützen.
    Wenn doch ausnahmsweise Mal jemand anders von Lucy anfangen würde. Die beiden Silben aussprechen, Lu-cy. Ich möchte nur hören, dass ein anderes Mädchen über sie spricht, ihren Namen wie einen Zauberspruch aufsagt, um die Geister fern zu halten. Früher schauten sie zuerst mich an, bevor sie über sie sprachen, als wollten sie meine Erlaubnis einholen. Sie gehörte mir mehr als allen anderen.
    Ich stand auf und brachte meine Kaffeetasse zum Servierwagen. Ich ließ sie hineinfallen, die braune Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen. Als ich hinausging, sahen mir alle nach. Dem Zombie.
    Ich kam kurz vor dem letzten Läuten nach oben, und Lucy lag immer noch im Bett. Ich ließ sie in Ruhe, wie man mir gesagt hatte. Sollte sie doch Ärger bekommen, weil sie die Versammlung verpasst hatte. Sollte sie doch wütend auf mich sein.
    Am Ende lassen mich alle im Stich. Meine Eltern, die zu sehr mit sich beschäftigt waren. Alle diese ununterscheidbaren grauen Damen, die sich in der Schule um uns kümmern sollen. Meine Lehrerinnen. Miss Brody, die Beichtmutter. Sogar Mr. Davies, der Dichter, den ich anders eingeschätzt hatte. Die Augen der dummen Mädchen folgen mir überallhin.
Arbeitsstunde
    Nach dem Griechisch-Unterricht trank ich bei Miss Norris Tee. Sie merkte, dass ich nicht in mein Zimmer zurückwollte, und lud mich ein, die Ruhezeit bei ihr zu verbringen. Ich rannte los, um meine Bücher zu holen. Ich würde gern in ihr Zimmer ziehen. Ich liebe sie.
    Beim Tee sprach ich mit ihr ein bisschen über Lucy. Sie nickte, während ich redete. Sie kennt Lucy. Ich habe sie mal zum Tee mitgebracht. Ich wollte Lucy die Vögel zeigen. Miss Norris machte

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