Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
immerhin real genug, um ihm Farben und Emotionen zurückzugeben. Er durfte sie nicht verlieren. Nicht, nachdem er die ganze Welt nach ihr abgesucht hatte. Er musste unbedingt einen Weg finden, sie bei sich zu behalten.
Ein kleines Zittern durchlief sie, als sie sich sichtlich anstrengte, bei ihm zu bleiben. »Ich kann das nicht sehr lange. Aber Sie«, fügte sie stirnrunzelnd hinzu, »sind auch verletzt. Wieso legen Sie sich mit einer klaffenden Wunde an der Schulter in den Dreck? Sie haben doch sicher schon mal was von Blutvergiftung oder Infektionen gehört?«
»Ich hatte einen kleinen Zusammenstoß mit einer Bande zwielichtiger Gesellen und war ungewöhnlich langsam«, sagte er, um einen leichten Ton bemüht, um seinen eigenen Wunden das Gewicht zu nehmen.
»Kommt das öfter vor bei Ihnen?«
Sie besaß tatsächlich Sinn für Humor. Ihm gefiel ihr Mund und auch das spitzbübische kleine Lächeln, das in ihren Augen funkelte. »Sehr oft leider. Und bei Ihnen?« Er wunderte sich darüber, wie gespannt er auf ihre Antwort wartete.
»Auch. In meinem Beruf ist es eine der Gefahren, mit denen man leben muss.«
Traian holte tief Luft, konnte aber ihren Duft nicht wahrnehmen, was ihm sagte, dass ihr physischer Körper wirklich nicht in dieser Höhle war. »Dann kann unsere Arbeit nicht sehr unterschiedlich sein.«
»Aber« , entgegnete sie mit einem weiteren verschmitzten Lächeln, »Sie sind hier in dieser Höhle, und ich liege in einem Krankenhaus. Was sagt das über Sie aus?«
Nun fühlte auch Traian seinen Humor erwachen. Seit seiner Kindheit hatte er mit niemandem mehr gescherzt und konnte sich auch kaum noch daran erinnern, wie das einst war. »Dass ich ein Exzentriker bin?«
Ihr Lachen war wie eine wohlklingende Melodie, die über seinen Körper tanzte wie die Berührung sanfter Finger. »Finden Sie nicht, dass Sie ein bisschen underdressed sind für einen Besuch in einer Höhle?«, fuhr er schmunzelnd fort.
Joie blickte an sich herab, und eine ihrer Augenbrauen fuhr in die Höhe, als sie sah, dass sie in einem Krankenhaushemd steckte. Sie hatte vergessen, sich für ihre Astralreise richtig anzukleiden. Aber sie tat diesen kleinen Lapsus mit einem Schulterzucken und einem leisen Lachen ab. »Sie haben recht. Eine Frau möchte natürlich so gut wie möglich aussehen, wenn die Höhlengrillen zu Besuch erscheinen.«
Sie betrachtete den Mann auf dem Boden. Er war der bestaussehende, der ihr je begegnet war. Und sie trainierte mit einigen ganz schön heißen Männern. Aber dieser hier hatte jede Menge ausgeprägter Muskeln, und sie wusste solche Dinge verdammt gut zu beurteilen. Jeder Zentimeter seines stahlharten Körpers strahlte pure Kraft aus, auch wenn er offensichtlich schwer verwundet war. Er spielte es herunter, doch bei genauerer Betrachtung konnte sie einen hässlichen Riss an seinem Nacken und Bisswunden an seinen Armen und Schultern sehen. Als er seine Stellung leicht veränderte, entdeckte sie noch mehr davon an seinem Rücken.
»Sie sehen aus, als wären Sie einem Wolfsrudel begegnet.«
Joie biss sich auf die Lippe, während sie auf eine Antwort wartete. Sie hatte schon früher festgestellt, dass sie keinen Schmerz empfand, wenn sie ihren Körper verließ, Kälte jedoch schon, und diesmal war ihr noch kälter als gewöhnlich. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass sie sich in einer Eishöhle befand. Sie hatte eine Astralreise noch nie über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können, schon gar nicht über größere Distanz, und diesmal hatte sie sich für eine Bergkette entschieden, über die sie schon viel gelesen hatte, weil sie hier einmal Urlaub machen wollte.
Die Eiseskälte ging ihr durch und durch, doch sie war aufrichtig besorgt um diesen Mann. Während ihr Körper kaum vorhanden war und der Mann daher auch nicht wirklich ihre Verletzungen sehen konnte, sah sie die seinen nur zu gut. Und sie hatte auch die Blutspuren auf dem Eis bemerkt, wo er in die Höhle hereingekommen war. Er war wirklich schwer verletzt, doch solange sie sich außerhalb ihres Körpers befand, konnte sie ihm nicht helfen.
»Sie waren mehr Hunde als Wölfe. Ich würde meine Brüder niemals so beleidigen.«
Joie liebte den Klang seiner Stimme. »Sie haben einen unglaublich sexy Akzent. Liegen Ihnen die Frauen schon allein Ihrer Stimme wegen zu Füßen?« Sie verstand es sehr gut, Menschen nach ihren Akzenten einzuordnen, aber seiner war ganz anders als alle, die sie je gehört hatte, und er hatte auch eine
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