Die Sehnsucht der Smaragdlilie
großen Waldbestandes voll jagdbaren Wilds zu den Lieblingsschlössern des Königs gehörte, war sein neuestes Objekt. Seit den Weihnachtsfestlichkeiten, die wegen der Abwesenheit des Thronfolgers und seines Bruders sehr still verlaufen waren, wurde nun ernsthaft gearbeitet. Man war dabei, große Teile des alten Anwesens niederzureißen und durch etwas Gewaltiges und Modernes zu ersetzen.
Marguerite hob den Saum ihres Samtkleids und stieg über einen Haufen Abfall, der auf dem Boden lag. Von oben regnete es Schutt und Staub, was um ein Haar ihre Kopfbedeckung beschmutzt hätte, deswegen flüchtete Marguerite in die relative Sicherheit der Großen Galerie.
Die Galerie war einer der wenigen Räume des Palastes, die beinahe fertig waren. Eine weite Fläche polierten Parketts, auf dem die Schritte hallten, erstreckte sich von einer mit Stuck verzierten Wand zur nächsten. Die Täfelung war mit Intarsien aus dunklem Holz versehen.
Am anderen Ende der Galerie, vor einem mit Zeichnungen bedeckten Tisch, stand König François höchstpersönlich. Er beriet sich mit einem der italienischen Künstler, die geholt worden waren, um den Bau all dieser Herrlichkeit zu leiten. Es war Signor Fiorentino. Im Moment hatte der König Marguerite noch nicht bemerkt. Sie verlangsamte ihre Schritte und studierte ihn genau, suchte nach Anzeichen, die ihr vielleicht seine Gedanken und Absichten verrieten, nach irgendeinem Hinweis, dass ihr wirklich verziehen worden war.
François war sehr groß. Wie ein Turm überragte er Marguerite, die sehr zierlich und nicht allzu hochgewachsen war. Er besaß volles dunkles Haar, einen modischen Spitzbart und außerdem alles, was einen eindrucksvollen König ausmachte. Die braunen Augen über der Hakennase der Valois blickten klar und scharf, und ihnen entging nichts. Nach Pavia und seiner Gefangenschaft war der König nun offenbar vorsichtiger geworden. Sein athletischer Körper war schlank und sehnig.
Doch sein berühmter Sinn für alles, was modisch war, hatte ihn nicht verlassen. Selbst an einem gewöhnlichen Tag wie diesem trug er ein mit Gold und Silber besticktes Wams, das mit zahlreichen Granatsteinen verziert war. Darüber hatte er einen purpurnen, mit Silberfuchs besetzten Überrock gezogen, um die Kälte abzuhalten. Eine rote, mit Perlen und noch mehr Granaten geschmückte Kappe bedeckte seinen Kopf und verbarg seinen Blick, als er sich jetzt über die Papiere beugte.
„Insgesamt werden es zwölf sein, Majestät“, sagte Fiorentino und deutete auf die leeren Flächen an den Wänden der Galerie. „Es sind natürlich alles Szenen aus der Mythologie, die Eurer Majestät erleuchtete Herrschaft illustrieren.“
„Hm, ja, ich verstehe“, sagte François. Ohne aufzublicken, rief er: „Ah, Madame Dumas! Von allen Damen in meinem Königreich habt Ihr sicher das beste Auge für Schönheit. Was haltet Ihr von den Plänen Signor Fiorentinos?“
Marguerite trat näher und betrachtete die Zeichnungen, während sie die Botschaft des Königs in ihren Ärmel steckte. Die erste Zeichnung zeigte eine Szene mit Danae, die hier mehr einer modisch gekleideten Dame des französischen Hofs ähnelte als einer Frau der antiken Welt. Sie war in tintenblaue Seide gehüllt und trug einen Kopfputz. Doch ihre Umgebung – zerbrochene Säulen, knorrige Olivenbäume und ein Gefolge aus dicken Putten und noch mehr modisch gekleideten Damen – war kunstvoll ausgearbeitet und von äußerster Eleganz.
„Es ist reizend“, sagte sie. „Und durch seine Größe und die Art, wie die Säulen die Szene einrahmen werden, erscheint es mir absolut geeignet für diesen Platz hier, wo die Nachmittagssonne Danaes Kleid aufleuchten lassen wird wie an einem Sommertag. Ihr werdet Kobalt benutzen, Signor, und kleine Tupfen aus Gold?“
„Ihr habt völlig recht, Majestät! Madame hat ein äußerst scharfes Auge für Schönheit“, rief Fiorentino glücklich und klatschte in die farbverschmierten Hände. Vielleicht war er auch nur froh, ein weiteres Kompliment erhalten zu haben.
„Gut, Signor“, sagte der König. „Die Danae bleibt. Ihr könnt sofort anfangen.“
Während der Künstler mit seinem Assistenten im Schlepptau davoneilte, lächelte François Marguerite an. Obwohl sie versuchte, seine Gedanken zu erraten, konnte sie in seinem höflichen Lächeln und dem unergründlichen Blick seiner Augen nichts erkennen. Er konnte noch besser sein wahres Ich verbergen als Marguerite.
„Wollen wir ein wenig im Garten spazieren
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