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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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kenne. Aber vielleicht ist meine Unlust auch nur eine Antwort auf die vielen Erlebnisse der letzten Tage und Stunden - oder auf meine Schmerzen im Knie. Wenn ich verletzt bin, ziehe ich mich zurück - das kenne ich von mir.
    Also - »Supermercado« ist angesagt - und als ich durch die Gänge schlendere, überlege, worauf ich wohl Lust hätte, macht mich plötzlich der Thunfisch in der Dose an. Dazu ein kleines Baguette, Rotwein, ein bißchen Käse - das kann ich mir gut vorstellen. Und ein Refugio ganz für mich allein, weil alle anderen auswärts essen, wäre ja auch nicht schlecht. Und jetzt, wenn ich dies schreibe, ist es genauso so - und es tut mir nur gut.
    Als ich meine Sachen eingekauft habe, hole ich mir noch ein Eis und setze mich auf die Bank am großen Platz. Da eilt der Pfarrer an mir vorüber und grüßt freundlich. Ich ziehe die Uhr aus der Hosentasche hervor. Als ich am Montagmorgen in Roncesvalles den Rucksack aufsetzte, hat mir ein Rucksackriemen glatt das Uhrenarmband durchschnitten, na gut, dachte ich noch, es wird wohl seinen Sinn haben. Es ist zehn Minuten nach sieben - richtig: Um halb acht soll Gottesdienst sein, ich hatte heute nachmittag extra gefragt. Aber als ich vorhin an der Kirche vorbeiging, wirkte sie so verschlossen und abweisend, daß ich die Idee wieder gestrichen hatte. Soll ich jetzt doch in den Gottesdienst? Ich schaue an mir herunter: Kurze Hosen, Turnschuhe - werden die mich damit in Spanien überhaupt in eine Kirche hineinlassen? Ich zweifle ein bißchen, aber dann fällt mir die Muschel ein, die mir Angelo mitgegeben hat, und ich hole sie unter dem T-Shirt hervor. Wenn man die Muschel sieht, dann wird man ja wohl ein Einsehen haben, daß ich hier nicht im Sonntagsstaat umherlaufen kann. Also gut - ich öffne die Kirchentür - und bleibe verblüfft stehen. Was von außen so unscheinbar ausgesehen hat, erweist sich als ein schöner Kirchenraum, liebevoll und geschmackvoll eingerichtet. Im Altarraum hängt ein großes Kruzifix von der Decke - und wirft aufgrund der Beleuchtung nach links und rechts ganz interessante Schatten. Ich gehe in eine Bank nahe der Tür, stelle die Einkaufstüten ab, knie hin - ob das Knie das wohl mitmacht? Doch, das geht noch - und sehe im Altarraum plötzlich eine große Andreas-Figur stehen. Fast scheint es mir, als schmunzle er mich an - so wie damals im Petersdom, als wolle er mir sagen: Hör mal, bloß weil du jetzt nach Santiago gehst, heißt das ja noch lange nicht, daß nur noch der Kollege für dich zuständig ist. Ich bin ja schließlich auch noch da! Ich freue mich, den Andreas da vorne zu entdecken - und es berührt mich sehr.
    Ich komme in die letzten Gebete des Rosenkranzes hinein. Als dann zum Gottesdienst der Priester einzieht, der Altarraum hell erleuchtet, festlich geschmückt, bin ich den Tränen nahe. In all der Fremde, in all dem Alleinsein der letzten Tage - hier bin ich daheim, hier bin ich zuhause.
    Der Gottesdienst dauert nur 23 Minuten - aber meine Stimmung schlägt um. Die Sache mit dem Knie hatte mich doch mehr gebeutelt, als ich mir selbst zugestehen wollte - jetzt fühle ich mich wieder »aufgehoben«. Vorhin war ich doch ein bißchen in der Gefahr, in die Traurigkeit und das Selbstmitleid abzurutschen. Und so kurz der Gottesdienst auch war, er war nicht lieblos heruntergelesen. Ich war einige Male kurz vor dem Weinen - aber es war gut so.
    Und ich weiß plötzlich auch, was mir die letzten beiden Tage gefehlt hat: Die Kirchen und die spirituelle Ausrichtung. Ich war so mit dem »Überleben« und der Gestaltung des Tages beschäftigt gewesen, daß mir das Spirituelle irgendwie weggerutscht ist trotz der Laudes am Morgen. Der Weg hatte sich in den Mittelpunkt gedrängt, das Ziel war verloren gegangen....
    Und das nehme ich mit vom heutigen Tag: Mir fehlt der Halt, der Boden, wenn ich aus meiner Beziehung zu Gott herausfalle. Dann erlebe ich mich wirklich in der Fremde und im Elend, was das Wort »pilgern« ursprünglich bedeutet. Solange ich in Gott bin, bin ich geborgen und aufgehoben - selbst auf den ungewöhnlichsten Wanderwegen in Nordspanien.
     
     

Mittwoch, 28.5.
     
     
    Burlada, 9.15 Uhr
    Ich sitze gemütlich in einer Bar in Burlada, einem Vorort von Pamplona. In Villada war die Pfarrkirche abgeschlossen -schade. Aber auf dem Weg hierher gab es eine kleine Kirche, die offen war, und in der ich dann die Laudes gebetet habe. Hängengeblieben bin ich heute morgen an einem Jesaja-Vers: »Denn der Herr hat an dir

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