Die Sehnsucht ist größer
durch fruchtbares Land.
Aber ich bin immer noch ausgesprochen privilegiert im Vergleich zu vielen anderen, die den Weg in Etappen gehen und immer nur vierzehn Tage Zeit haben. Mir vorzustellen, mir wäre das mit dem Knie passiert - und ich hätte insgesamt nur zwei Wochen... undenkbar. So liegen noch fünf Wochen vor mir - Zeit genug, wenn eben auch nicht mehr die Zeit für das Ganze. Trotzdem - es bleibt noch viel - und irgendwann wird das Knie ja wohl wieder mitmachen.
Obwohl - solche Aktivitäten wie heute morgen sind der Heilung wohl kaum förderlich. Zuerst war ich gespannt, wie das Gehen mit der Belastung des Rucksacks seins sein würde - aber es ging durchaus, humpelnd zwar und immer nur Stufe für Stufe -, aber daran hatte ich mich ja gestern schon ein wenig gewöhnen können.
Dann bin ich zur Post gehumpelt, die auf dem Weg Richtung Busbahnhof liegt - und habe mich wie zuhause gefühlt: Da war ein Schalter geöffnet mit einer langen Schlange von Menschen davor, und irgendwo im Raum noch vier oder fünf Mitarbeiterinnen, die offensichtlich mit etwas Wichtigem beschäftigt waren - deshalb also für den normalen Schalterdienst nicht zur Verfügung standen.
So komme ich erst zehn Minuten vor Abfahrt des Busses an den Busbahnhof, finde die Abfahrtsstelle gleich, frage noch eine Frau, ob man die Fahrkarte im Bus kaufen könne, und sie nickt bestätigend. Als der Fahrer die Tür öffnet, dauert es ein bißchen, bis ich verstehe, daß der Fahrer mit »abajo« nicht nur meint, daß ich den Rucksack abnehmen soll, sondern ihn auch noch im »Kofferraum« des Busses verstauen soll. Ich also wieder raus aus dem Bus, Rucksack irgendwo unten rein geschoben, wieder rein in den Bus - und bei der Höhe der Stufen und meinem Verband am Knie war das jeweils kein leichtes Unterfangen.
Dann fragt der Fahrer nach dem »billette« - ich hatte natürlich keines, dafür einen Geldschein in der Hand. Es half nichts. Der Fahrer schickt mich los, »billette« kaufen - und ich weiß noch nicht mal wo. So humple ich denn, vier Minuten vor Abfahrt des Busses, so schnell ich kann, durch diesen Busbahnhof, entdecke keinen Fahrkartenschalter, sehe in meiner Phantasie schon meinen Rucksack mit dem Bus nach Estella losfahren - und mich hier in Pamplona alleine rumstehen. Schließlich finde ich die Guardia Civil - und fragte verzweifelt nach dem Schalter. Ohne Erfolg - Englisch versteht niemand - und in der Streßsituation fallen mir auch die entsprechenden französischen oder spanischen Vokabeln nicht ein. Ich wieder hinaus, finde schließlich den Schalter, kaufe die Fahrkarte - und humple, so schnell ich kann, wieder zum Bus zurück, der zum Glück noch da steht. Jetzt endlich läßt mich der Fahrer einsteigen.
Und ab der nächsten Haltestelle verkauft er natürlich selbst die Fahrscheine...
Bei Jean Vanier las ich gestern abend noch: »Die Erkenntnis unserer Zerbrochenheit und unserer Verletzungen bringt uns letztlich von unserem hohen Roß herunter... und so können wir das Geschenk entdecken, das diese Wahrheit für uns bereit hält: Wir sind keineswegs anders als die Menschen, denen wir dienen möchten, wir sind genauso kaputt und verletzt wie sie auch; es wird uns deutlich wie noch nie zuvor, daß wir wirklich miteinander Schwestern und Brüder sind, wir sind verwundete Menschen, wir können einander liebgewinnen, einander vergeben und miteinander unser Eins-Sein feiern.«
Spannend war ein Traum, den ich diese Nacht hatte. Ich leitete ein Seminar oder hatte einen Vortrag, das war nicht so eindeutig. Plötzlich hörte ich mich sagen: »Sucht und ihr werdet finden - aber es ist nicht gesagt, was ich finden werde, und ob es das ist, was ich gesucht habe. Klopft an - und euch wird geöffnet -, aber es kann auch die Nebentür sein.«
Es ist selten, daß ich einen Traum am Morgen so präsent vor Augen habe - dieser Traum macht mir Mut. Ich werde möglicherweise nicht finden, was ich gesucht habe, die Tür, vor der ich stehe, mag verschlossen bleiben - aber ich werde anderes finden und vielleicht öffnet sich eine Nebentür. Ich bin gespannt.
Puente la Reina, 15.30 Uhr
In einer kleinen Pension habe ich ein Zimmer bekommen, bin ein bißchen durch den Ort gehumpelt - und diese Brücke ist wirklich wunderschön! Jetzt sitze ich hier draußen vor der Pension, habe mir ein Bier genehmigt, ein bißchen gelesen - plötzlich kommt der Schweizer, der sich interessanterweise auch hier einquartiert hat. Und so haben wir uns wieder mal für
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