Die Sekte Satans
Position in die
erleuchteten Fenster der oberen Etage spähen — und Elisabeth entdecken.
Er umging die Lichtschranke. An
den Garagen vorbei. Blütenduft wölkte zwischen den Sträuchern. Grillen
konzertierten. Und in der Protzvilla waren die meisten Fenster erleuchtet.
Er erreichte die Buche. Sprung
mit Klimmzug zu einem Ast in Korbball-Höhe. Tim kletterte. Dann verkeilte er
sich in einer Astgabel und wandte den Blick zum Haus.
Das Fenster vor ihm war mit
geblümtem Vorhang blickdicht gemacht. Aber ein Spalt klaffte auf. Im
erleuchteten Zimmer sah Tim einen großen Wandspiegel, der viel vom Raum zeigte.
Ein Mädchenzimmer — mit Postern an den Wänden und Plüschtieren auf dem
Kleiderschrank. Und in diesem Moment sah Tim das Mädchen.
Elisabeth stand mitten im
Zimmer, beide Hände an den Kopf gelegt — eine verzweifelte Geste — das Gesicht
nass von Tränen.
Ihr Anblick, die Ähnlichnkeit
mit Regina nahm ihm den Atem. Unglaublich!
Ein dürrer Zwei-Meter-Ast hing
zwischen anderen. Ein Zeigestock. Tim nahm ihn und klopfte damit an die
Fensterscheibe.
25. Um Haaresbreite
In seiner Trinkstube, wo er
Bier vom Fass zapfen konnte, starrte Krokow die Wand an. Schon lange hockte er
hier, schwitzend, die Kiefer aufeinander gepresst. Jetzt, nach der fünften
Einfüllung, jetzt war das Unbehagen betäubt. Und er stellte sich den
Gespenstern der Vergangenheit. In all den Jahren hatte er die Erinnerung
verdrängt — auch vorhin, als er das Foto im Pass dieser Regina Riedenbach sah:
den Pass aus der im Garten gefundenen Tasche. Vorhin — da hatte Krokow es noch
als verblüffende Ähnlichkeit abgetan und andere Gedanken nicht zugelassen. Vor
allem Petra und Elisabeth durften nichts wissen. Doch nun — nach der dumpfen
Wirkung des Gerstensaftes — nun öffnete Krokow die Augen vor der Wahrheit.
Ja, die Mädchen sind
Schwestern. Ebenso gut könnte jetzt diese Regina bei uns sein — als unsere
Tochter. Und Elisabeth würde heute Nacht ein Ohr verlieren. Weil ich den
Kidnappern nicht nachgebe. Nein! Tue ich nicht! Wer bin ich denn! Drei
Millionen für eine Fremde? Niemals, ihr Lumpenpack!
Seltsam! Ihm war bewusst, wie
wenig ihm Frau und Tochter bedeuteten, als Menschen bedeuteten. Aber sie waren
seine Familie. Und damit sein Besitz. Den würde er verteidigen — auch mit
Gewalt.
Er starrte hinaus in den
nachtdunkten Park, seinen Park. Hatte eben der Kies geknirscht? Waren die
Kidnapper hier? Sie wollten dieser Regina ein Ohr abtrennen. Mit der Post
würden sie’s nicht schicken. Nein, das würden sie persönlich hier in den
Briefkasten werfen. Jetzt? Jetzt war dafür so gut wie nachher.
Krokow stand auf, schwankte
leicht, rülpste Bieratem und nahm seine Pistole. Stiernackig trat er durchs
Portal ins Freie. Eine Runde ums Haus war angesagt. Kidnapper-Jagd!
*
Tim hielt den Atem an.
Elisabeth war zum Fenster gekommen. Sie zog den Vorhang beiseite und — sah ihm
ins Gesicht. Die Helligkeit aus dem Fenster strahlte ihn an wie ein Spotlight.
Rasch legte er den Finger über die Lippen.
Das Mädchen verharrte. Eine
dicke Träne rann noch über die Wange. Dann wurde das Fenster geöffnet.
„Pst!“ Tim flüsterte.
„Entschuldige den Schrecken! Aber ich muss mit dir reden. Ohne deine Eltern.
Ich bin Tim. Ich...“
„Ich weiß, wer du bist.“ Ihr
Flüstern wehte seidig heran, als würden Nachtfalter die Worte tragen. „Du warst
vorhin hier.“
Sie weiß Bescheid, dachte Tim
verwundert.
„Du... suchst Regina, nicht
wahr?“
Er wollte antworten, aber
wuchtige Schritte kamen um die Hausecke. Krokow trat auf als müsse er Kies in
den Boden stampfen. Die Hand mit der Pistole war ausgestreckt und der feiste
Schädel in den Nacken gelegt. Krokow blickte hoch zu dem geöffneten Fenster,
aus dem sich Elisabeth herauslehnte.
Nur ein lichtes Gitter fast
blattloser Zweige verbarg Tim. Er rührte sich nicht, atmete nicht, versuchte
nichts zu denken — denn gerade die Intensität der Gedanken zieht Blicke an wie
ein Magnet. Tim trug nachtblaue Jeans, und auch sein T-Shirt war dunkel. Er war
gekleidet wie kürzlich im Schroffwald beim Anschleichen zu Glänzers
Satanssekte. An den musste Tim in diesem Moment denken — an Delirius Glänzer,
den Oberpriester. Seinetwegen waren sie hier. Aber das musste warten. Die Suche
nach ihm war an zweite Stelle gerückt. Jetzt ging’s nur um Regina. Ihr
Verschwinden hielt alle in Atem.
„Elisabeth!“ Krokow klang
betrunken. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst vom
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