Die Signatur des Mörders - Roman
wieder aufzureißen.
»Olivier?«
»Er lebt.«
Sie fiel zurück in die Dunkelheit, an die sie sich bereits so weit gewöhnt hatte, dass sie Angst hatte, das grelle Licht der Scheinwerfer würde ihr die Augen verbrennen. Ein Moment der Ruhe, der ihr nur kurz gegönnt wurde, denn gleich darauf hörte sie jemanden laut fluchen: »Scheiße, hier liegt etwas. Ich glaube … mein Fuß steckt in einer Leiche.«
Sie hörte den Kies unter zahlreichen Füßen knirschen, glaubte dieses Geräusch nie wieder loszuwerden. Sie versuchte sich aufzurichten. Dann fühlte sie eine warme Hand, die ihre festhielt.
Sie blinzelte leicht, um die Augen sofort wieder zusammenzukneifen. Doch es genügte, um zu erkennen, wer ihr ins Ohr flüsterte: »Ich liebe eine Wahnsinnige!«
Sie genoss dieses Gefühl einige Sekunden lang, bis jemand erschüttert erklärte: »Kleider, Schuhe. Ich glaube, es handelt sich um die Leiche einer Frau. Sie muss schon Monate hier unter dem Kies vergraben liegen.«
Das Bermudadreieck, dachte sie. Wir haben es gefunden.
Frankfurt am Main
Mittwoch, 23. Mai
43
Im Verhörzimmer im Keller des Polizeipräsidiums herrschte angespannte Erwartung. Die Polizeipsychologin Hannah Roosen und Kriminalhauptkommissar Ron Fischer saßen an der Wand, lediglich durch einen runden Tisch mit Glasplatte von David getrennt. Myriam hatte ihn zuletzt im Krankenhaus gesehen und wunderte sich, wie groß und kräftig er war. Er ähnelte seinem Vater.
Myriam saß mit verbundenem Kopf und bandagierten Händen neben Henri vor dem Bildschirm im Nebenraum und verfolgte gespannt David Hus’ Vernehmung. Das Gespräch auf Video aufnehmen zu lassen und live mitzuerleben entsprang der sinnlosen Hoffnung, sie würde so schnell wie möglich eine Erklärung erhalten. Doch Davids Blick hatte sich irgendwo im Raum einen Punkt gesucht, an den er seine Gedanken heften konnte. Er weigerte sich, seine Version der Ereignisse zu schildern.
»Hast du es schon gehört?«, fragte Henri.
»Was?«
»Sie haben Wagner endgültig suspendiert.«
»Wurde auch Zeit. Schlimm genug, dass sie zwei Tage gebraucht haben, um zu dieser Entscheidung zu kommen.«
»Damit ist seine Karriere vorbei«, erklärte Henri.
»Tut dir das leid?«
»Du hättest mir sofort von den anonymen Anrufen erzählen müssen.«
»Hast du vergessen? Ich war für dich eine Unperson. Außerdem hat er dein Handy geklaut. Nur so ist er an meine Nummer gekommen, und nur so wusste er von dem Tunnel.«
»Erst dachte ich, ich hätte es im Büro liegen lassen und dann in der Wohnung«, murmelte Henri schuldbewusst.
»Und wir haben Wagner alle Informationen auf die Mailbox gesprochen. Uhrzeit. Ort. Alles. Nur so konnte er die Presse verständigen.«
Auf dem Bildschirm blieb es weiter ruhig. Seit Stunden saß der Junge so da. Sie hatten versucht, ihn abwechselnd zu befragen, doch es war sinnlos. Er schwieg. Wie sein Vater zum Schluss geschwiegen hatte.
»Lasst mich mit ihm reden«, bat Myriam.
Henri schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht alles selbst machen.«
»He, ich habe dich gerettet. Hast du das vergessen? Du stehst für immer in meiner Schuld. Außerdem warst du es doch, der allein in den Tunnel gegangen ist.«
»Ich musste meinen Fehler revidieren.«
»Was dir nicht gelungen ist.«
»Ich hätte es fast geschafft. Zwei Schüsse, und die Tür stand offen. Olivier lag vor der Tür. Ich dachte, er sei tot. Deshalb habe ich mich nach unten gebeugt.«
»Sodass es für David ein Kinderspiel war, dich außer Gefecht zu setzen.«
»Er wartete im Dunkeln«, rechtfertigte sich Henri. »Er hat mich in die Falle laufen lassen.«
Diese Diskussion führten sie seit zwei Tagen und unterbrachen sie nun nur, weil Ron wieder einmal etwas zu David sagte. Seine Stimme im Mikrofon klang blechern.
»Möchtest du etwas trinken?«
David löste die Augen nicht von diesem Punkt an der Decke, von dem auch Myriams Blick immer wieder angezogen wurde, ohne dass sie etwas erkennen konnte. Dass David Ron gehört hatte, wurde klar, als er den Kopf schüttelte.
»Etwas anderes? Bist du hungrig?«
Wieder Kopfschütteln.
Myriam beobachtete, wie Ron unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Sie wusste, was er dachte. Dass sie nicht mit David reden mussten, da Simon alles erzählt hatte. Die Beweise und Simons Aussage reichten aus, um gegen David eine Anklage zu erheben.
»Wenn du nicht mit uns sprichst«, sagte nun Hannah, »dann bleibt uns nur Simons Aussage, er hätte dir lediglich geholfen, habe
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