Die Silberdistel (German Edition)
geschoben haben sollte, auf daß er ›an seiner Taktlosigkeit ersticke‹. Solche und ähnliche Geschichten trugen natürlich im Laufe der Jahre dazu bei, daß die Räder des Hofes vollendet ineinander griffen und der herzögliche Alltag bis ins letzte Detail perfekt vorbereitet war, so daß dem Herzog Ulrich möglichst selten ein Grund zur Klage einfallen konnte.
Auch an diesem Morgen gab es für Ulrich keinen Grund zur Beschwerde: Nachdem er am Vorabend mit einer Handvoll Jagdkameraden, darunter auch Hans von Hutten, seinem engsten Vertrauten und Freund, auf Burg Taben eingetroffen war und nach einem fürstlichen Abendessen früh die Nachtruhe angetreten hatte, fühlte er sich heute morgen so gut wie schon lange nicht mehr. Genüßlich ließ er seinen Blick über die morgendliche Alblandschaft schweifen. Wie ein dunkler Streifen erhob sich die Schwäbische Alb über die kahle Winterwelt. Zu seinen Füßen lag das kleine Dorf Taben, etwas weiter links Dettingen. Die Straße nach Kirchheim, der nächsten Stadt, war um diese Zeit noch menschenleer. Später würde auf allen Zufahrtswegen nach Kirchheim regesTreiben herrschen, denn die Stadt war der einzige Ort, an dem die Bauern ihre kümmerlichen Erzeugnisse feilbieten konnten.
Ulrich war zufrieden. Obwohl er an das Treiben in der Stadt gewöhnt war und es niemals gegen einen Regierungssitz auf dem Lande eintauschen wollte, weckte ein Besuch auf der Burg seine Lebensgeister immer wieder aufs neue. Warum dies so war, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Denn eigentlich war sie nicht viel mehr als ein großer, viereckiger, dunkler Kasten. Ursprünglich als Festung gegen herannahende Feinde aus dem Süden gedacht, war Burg Taben heute nur noch Ausgangspunkt für Jagdgesellschaften. Mittlerweile hatte die weiter westlich liegende Burg Hohenneuffen ihre ursprünglichen Aufgaben übernommen, wozu sie durch die strategisch bessere Lage direkt am Albtrauf auch eher geeignet war als die kleinere Burg Taben, die nur auf einer Anhöhe am Fuße der Alb lag. Und so hatte sich Burg Taben im Laufe der Jahre zu einer Art Landdomizil entwickelt, dem der Herzog oft und gerne einen Besuch abstattete und das er ansonsten unter der Obhut seines Verwalters Markus Jost in den besten Händen wußte. Dieser hatte auch heute wieder seine Aufgabe zur größten Zufriedenheit des Herzogs gemeistert: Die Pferde standen gestriegelt und aufgezäumt parat, im Wald wartete eine Meute von Treibern auf das Halali, und es versprach ein klarer, sonniger Tag zu werden.
Es war doch eigenartig, welch völlig anderer Mensch der Herzog war, sobald er der stickigen Umgebung des Stuttgarter Hofes entkam, ging es Hans von Hutten – Ulrichs engstem Vertrauten, Freund und Stallmeister in einer Person – durch den Kopf. Wenn er ihn so anschaute, sah er fast wieder aus wie der Ulrich von früher …
Doch hier wurde Herzog Ulrich mit den wohlwollenden Augen eines Freundes betrachtet. Denn in der Tat erinnerte nicht mehr viel an den draufgängerischen Abenteurer vondamals, dessen wacher Blick mit dem eines Falken verglichen und dessen Mut in vielen Liedern besungen wurde. Statt dessen bot heutzutage Ulrichs Fettleibigkeit den Höflingen einen willkommenen Anlaß zum Spott hinter vorgehaltener Hand. Doch Ulrich hatte sich nicht nur äußerlich verändert. Die Jahre der Regentschaft, eine freudlose, aus politischen Motiven geschlossene Ehe und das Leben am Hofe, umgeben von einer Meute Schmarotzern, hatten aus dem jungen Mann einen ungerechten, rücksichtslosen Tyrannen gemacht, der nicht mehr viel mit dem jugendlichen Draufgänger von einst gemein hatte. Dabei machte seine Selbstgerechtheit oft auch vor seinen besten Freunden und Vertrauten nicht halt, und es bedurfte einer so weiten, großherzigen Seele wie der Hans’ von Hutten, um im freudlosen Schatten dieses rücksichtslosen Tyrannen leben zu können. Hans war sich seiner unkritischen Liebe zu Ulrich wohl bewußt. Vielleicht sah er Ulrichs Fehler sogar mit schärferem Auge als alle anderen. Trotzdem hätte er sein Leben für den Herzog gegeben. Das mochte daran liegen, daß er und der Herzog große Teile ihrer Kindheit gemeinsam damit verbracht hatten, die letzten Schlupfwinkel der Stuttgarter Residenz zu erkunden, zwei einsame Bubenseelen, die im höfischen Tagesablauf oftmals vergessen worden waren. Vielleicht gehörte es auch einfach nicht zu Hans’ Wesen, eine bedingungslose Liebe zu hinterfragen. Und so war es immer wieder er, der dem
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