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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Bleigeschoß nach. Er mußte nicht lange auf die nächste Möglichkeit warten, denn durch den Lärm der Treiber war eine Menge Wild im winterlich-kalten Wald aufgescheucht worden.
    Nacheinander rannten ein Hase, ein riesiger, dunkelbrauner Eber und ein weiteres Reh auf die Lichtung, orientierten sich kurz im gleißenden Sonnenlicht und setzten ihre Flucht in Richtung des schützenden Waldes fort.
    Ulrich verfehlte jedesmal. Seine Begleiter wurden von Mal zu Mal unruhiger.
    Konnte er sein Verfehlen zu Beginn noch auf die ungewohnte, neue Waffe schieben, so wurde im Laufe der Jagd klar, daß es auch an seinem Unvermögen liegen mußte. In der Regel zählte Ulrich durchaus zu den besseren, wenn nicht sogar zu den besten Jägern des Landes! Doch der heutige Tag war wohl die berühmte Ausnahme dieser Regel. Der schwere Wein hatte offensichtlich seine Sinne so vernebelt, daß er jedesmal viel zu spät reagierte und danebenschoß. Seine Miene war verbissen, als er sich zwang, sein Versagen auf die leichte Schulter zu nehmen: »Das kommt vom Saufen am frühen Morgen. Den nächsten Schuß gebe ich weiter! Also, wer will und kann?«
    Die Männer versuchten, dem scharfen Blick des Herzogs auszuweichen, jeder murmelte etwas wie » … heute nicht mein Tag …« und » … wohl auch ein bißchen zuviel getrunken …« in seinen Bart. Sie waren doch nicht lebensmüde! Wenn der Herzog zum wiederholten Male danebenschoß, tat jeder gut daran, ebenfalls zu verfehlen oder die Herausforderung erst gar nicht anzunehmen.
    Auf einmal wurde es totenstill. Das weinselige Geplänkel der Männer verstummte. Auf der Lichtung war wie aus dem Nichts ein riesiger Vierzehnender erschienen. An ihm war keine Spur jener Panik zu erkennen, die die anderen Tiere zu ihrer kopflosen Flucht getrieben hatte. Gemächlich kam er aus dem Dunkel der Bäume, im sicheren Bewußtsein, daß er, der König des Waldes, jedem Feind durch seine Schnelligkeit und Schläue haushoch überlegen war. Obwohl er im Laufe seines Daseins schon mehr als einmal Jägern gegenübergestanden hatte, war es dem Tier bisher immer gelungen, seine Haut zu retten. Genaugenommen waren er und der Herzog alte Bekannte.
    ›Der Schuß ist frei. Aber soll ich gerade diesen Hirsch aufs Korn nehmen? Ist es nicht unwaidmännisch, während einer Treibjagd Rotwild zu jagen? Soll ich oder lass’ ich’s bleiben?‹ In Huttens Kopf herrschte ein wildes Durcheinander. Sein Verstand riet ihm davon ab, auf den Hirsch zu zielen und ihn womöglich noch zu treffen. Dieses Tier war eine Kreatur des Herzogs! Doch bevor sein Verstand die Oberhand gewinnen konnte, griff der Jäger in ihm zur geladenen Büchse, setzte an, zielte – und traf. Der Hirsch stieß einen leisen, heiseren Schrei aus, machte einen Satz in die Höhe und sank dann mit einem gewaltigen Schlag zu Boden. In seinem Hals klaffte ein riesiges Loch, aus dem fontänenartig dunkler, rotbrauner Schweiß schoß und sich über sein dichtes, struppiges Winterfell ergoß. Seine Beine zuckten noch ein paarmal, als ob er davonlaufen wolle – doch dazu war es zu spät. Heute hatte er seinen Bezwinger gefunden. Hutten hatte das Gefühl,als würde in seinem Kopf das Blut nicht minder heftig pochen. Reglos standen die Männer da, waren für einen Augenblick wie gelähmt. Der Anblick des toten Hirsches rief Demut in einem jeden hervor, während sie ihre kurze Totenwacht zu Ehren des gestreckten Wildes hielten. Doch kurz darauf wurde die Stille vom Klang der Jagdhörner unterbrochen, deren ›Hirsch tot‹ von dem großen Ereignis verkündete. In Hans jubilierten ebenfalls ganze Fanfarenchöre: Sein Schuß hatte sein Ziel getroffen! Ein Ziel, von dem jeder Jäger ein Leben lang träumte! Jeder Jäger …?
    Plötzlich war der Zauber des Triumphs wie weggewischt. Vorsichtig linste er zu dem weniger erfolgreichen Jagdherrn hinüber. Doch Ulrich schien es gelassen hinzunehmen, daß sein Freund mehr Glück gehabt hatte. Von einem Helfer ließ er sich einen Fichtenzweig reichen, ging mit kräftigen Schritten auf den mittlerweile reglos daliegenden Hirsch zu, benetzte diesen Schützenbruch mit dem Schweiß des Hirsches und überreichte ihn dann dem erfolgreichen Jäger: »Waidmannsheil, Hans von Hutten! Wenigstens einer von uns hat heute sein Ziel getroffen!«
    Die anderen Männer klopften Hutten auf die Schulter, und so fiel es ihm nicht weiter auf, daß der Herzog mit versteinerter Miene seinen Burschen anwies, die Pferde zu holen. Eh’ man sich versah,

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