Die Silberdistel (German Edition)
er wörtlich: ›Die Leibeigenschaft aufgrund des Evangeliums abzulehnen, heißt christliche Freiheit ganzfleischlich zu machen …, denn ein Leibeigner kann gut Christ sein und christliche Freiheit haben, so wie ein Gefangener oder kranker Christ, der auch nicht frei ist.‹ Weiter unten schreibt er, daß er das Wort Gottes als neue Rechtsgrundlage strikt ablehnen würde, und er empfiehlt Euch, dasselbe zu tun. Zu guter Letzt meint er noch, daß er sich in diesem Sinne auch an die Bauernschaft wenden würde, um sie zu beschwichtigen.«
Sorgfältig rollte von Blauen die Bulle wieder zusammen, dann schaute er auf. »Nun, verehrter Erzherzog, was sagt Ihr dazu?«
Ferdinand kratzte sich am Bart. »Ich würde sagen, wenn die Kunde von diesen zwölf Artikeln schon bis in den Norden des Landes gedrungen ist, dann wäre es ein schlimmer Fehler, diese Anliegen nicht ernstzunehmen! Zeigt es uns doch, daß die Bauern und ihre Helfershelfer immer mehr an Macht gewinnen. Man stelle sich einmal vor: Sie verfassen ein Schreiben, in dem sie die unglaublichsten Dinge von mir fordern, wohlgemerkt, fordern, und nicht bitten oder anrufen! Und dieses Schreiben verbreitet sich in einer solchen Windeseile, daß es wenige Tage später schon dem Wittenberger Wichtigtuer vorliegt.« Er schüttelte den Kopf. »Unglaublich. Zuerst waren es ein paar Kohlköpfe, doch jetzt scheinen auch kluge und bedeutendere Herren in den Aufstand verwickelt zu sein. Und die könnten uns gefährlich werden.« Mit einem Ruck stand er auf und ging zu seinem Schreibtisch. Resolut setzte er sich nieder und griff nach einem Stück Papier. Er fuhr so heftig mit seiner Gänsefeder darüber, daß diese in der Mitte zerknickte.
»Doch so weit lasse ich es nicht kommen! Sie haben sich alle verrechnet, alle! Es wird Zeit, daß sich der Truchseß von Waldburg um die Aufrührer kümmert. Von Blauen!«
Der Hofmarschall eilte zum Schreibtisch.
»Schickt einen Boten los. Er soll schnurstracks zu meinem Heer reiten und dem Truchseß dieses Schreiben übergeben.«
»Und worum geht es darin, wenn ich fragen darf?« antwortete von Blauen gekränkt, der sich in dieser so wichtigen Angelegenheit völlig übergangen fühlte und dieses Gefühl gar nicht schätzte.
Ferdinands Gesicht verzog sich zu einem boshaften Grinsen. »Der Bauernjörg soll endlich damit beginnen, seine Aufgabe zu erfüllen. Und wenn er damit fertig ist, will ich keinen der elenden Aufrührer mehr lebend sehen!«
»Sie wollen nicht aufgeben!« Atemlos kam der Bote auf die Bauern zugerannt. Hinter ihm trabte der Rest der Abordnung an, die von Feuerbacher nach Herrenberg geschickt worden war, um die Stadt zum Aufgeben zu bewegen. »Zum Teufel sollen wir uns scheren, haben sie gemeint!« meinte ein anderer Bote. »Ja, und dreckig gelacht haben sie und gesagt, daß wir ihr Herrenberg nie erobern würden«, ergänzte der erste. Wütend starrten die Männer auf die hohen Festungstürme und dicken Mauern der Stadt, die sich nicht unterkriegen lassen wollte.
Wie eine Fürstin thronte Herrenberg am Rande des Schwarzwaldes. Der Stadtgraben, die Schützenscharten und die Festungstürme umhüllten und schützten sie und ihre herrlichen Bauwerke wie ein hoheitliches Gewand. Nichts hatte sich Hans Wunderer mehr gewünscht, als einmal in seinem Leben die Herrenberger Stiftskirche mit eigenen Augen zu sehen, statt immer nur davon zu hören. Daß es allerdings unter solchen Umständen geschehen sollte, damit hatte er nicht gerechnet.
Unter den Bauern, die in der Nähe standen, machte sich Unmut breit. Von Nachrichten wie den eben gehörten hatte man die Nase voll! Der Demütigungen war genug, nun sollte ein für allemal Schluß damit sein. Jetzt, wo nicht nur Jäcklein Rohrbachs Männer, sondern auch die Bauern aus dem Nordschwarzwald zu ihnen gehörten, war es an der Zeit, loszuschlagen!
Wunderer warf Feuerbacher einen schrägen Blick zu. »Hätte ich mich bloß nicht von dir breitschlagen lassen! Wir könnten schon längst in der Stadt sein, aber nein! Der Herr Schankwirt will abwarten bis zum Sankt Nimmerleinstag!«
Neben ihm lachte ein anderer höhnisch. »Wenn wir bei der Sulzburg so vorgegangen wären, hätten wir diese Nuß heute noch nicht geknackt! Ich sage: Es gibt keine noch so dicke Stadtmauer, gegen die ein paar Feuerpfeile nicht erfolgreich wären!« Verächtlich spuckte Thomas Maier auf den Boden. Wenige Tage zuvor hatten er und seine Männer die Sulzburg in Schutt und Asche gelegt und zuvor reiche Beute
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