Die Silberdistel (German Edition)
den Soldaten des Schwäbischen Bundes gegenüberzutreten. Die Stimmung war so aufgeheizt wie ein Ballen vertrocknetes Heu nach einem heißen Sonnentag: Ein Funke hätte genügt, und die erzwungene Ruhe der Männer hätte Feuer gefangen. Die Nachricht von dem bevorstehenden Kampf mit den bündischen Soldaten wirkte wie ein Zaubertrank, der die Männer alle Unbequemlichkeiten der vergangenen Wochen vergessen ließ. Kaum einer konnte es abwarten, endlich dem Feind gegenüberzustehen. Angst hatten sie keine. Denn schließlich kämpften sie für eine heilige Sache, während dieLandsknechte des bündischen Heeres bezahlte Brüder waren, die für ein paar Heller für alles und jeden gekämpft hätten. Wieso sollten sie also vor solchen Soldaten Angst haben? Zumal das Heer des Truchseß nur halb so groß war wie das eigene! Nein, die Zeit war reif, dem Erzherzog endlich einmal zu zeigen, wer die kommende Macht im Lande war. Zuerst würde man seinen Soldaten den Garaus machen und dann den Erzherzog selbst aus seinem Schloß, oder wo immer er weilen mochte, hinaus-und durch die Spieße jagen.
Doch neben der allgemeinen Begeisterung gab es auch diejenigen, die zum Abwarten rieten. Die bei weitem nicht ganz von der eigenen Schlagkraft überzeugt waren. Zu ihnen gehörte Dettler. Es war schon fast dunkel, als er und Pfarrer Weiland sich eines Abends zu Cornelius gesellten, der sich abseits von den anderen zur Ruhe legen wollte.
»Was willst du, Redner?« fragte er kurzangebunden. Er hatte Dettler noch nie leiden mögen, und das hatte sich in den letzten Wochen nicht geändert.
»Ich brauche deine Hilfe, Cornelius.«
»Das wäre ja das Neueste!« Er lachte kurz auf. »Warum wendest du dich nicht an einen der Hitzköpfe, mit denen du sonst soviel zu tun hast?«
»So hör dir doch an, was Dettler zu sagen hat«, mischte sich nun Weiland ein.
Dettler und Weiland tauschten einen sorgenvollen Blick. Cornelius wirkte so müde, daß sie zweifelten, ob es überhaupt einen Sinn machte, ihn für ihre Sache einzuspannen. Doch bei Dettlers nächsten Sätzen verflog Cornelius’ Müdigkeit zusehends.
»… wir, die Bauernhauptleute, benennen hiernach die zwölf Artikel, worin es um die Rechte geht, die wir von den geistlichen und weltlichen Obrigkeiten einfordern. Demnach fordern wir:
1. unsere Pfarrer selbst wählen zu dürfen, die uns das lautere Evangelium predigen,
2. daß der Zehnte nur für kirchliche Zwecke verwendet werde, nicht aber in die Taschen der Pfarrer und Priester wandere,
3. die Leibeigenschaft soll abgeschafft werden, denn der wahre Christenmensch ist frei,
4. die Jagd und der Fischfang soll für jedermann frei sein, nicht nur für die Obrigkeit,
5. der Holzschlag in den Wäldern soll Gemeinderecht werden, auf daß im Winter niemand mehr friere,
6. die Frondienste sind einzuschränken, auf daß kein Bauer mehr arbeiten muß auf dem Feld seines Herrn denn auf seinem eigenen Feld …«
Auch der siebente Artikel bezog sich auf die Frondienste, doch hörte Cornelius hier nicht mehr genau hin. Mißtrauisch starrte er von Dettler zu Weiland.
»Auf wessen Mist ist das gewachsen? Doch nicht auf deinem? Oder wie kommt es, daß gerade du so sanfte Töne von dir gibst? Bisher konnten dir die Männer doch nicht rabiat genug vorgehen.« Herausfordernd blickte er den Redner an.
Dettler zuckte mit den Schultern. »Das war vielleicht einmal so. Heute denke ich, daß uns eine Schlacht mit dem bündischen Heer nicht weiterbringen würde. Ganz im Gegenteil!« Auf Cornelius’ fragenden Blick hin begann er weiter auszuholen. »Sicher, unser Heer ist in der Überzahl. Aber die württembergischen Soldaten haben mehr Waffen – und besser ausgebildet sind sie auch! Ich befürchte ein schlimmes Blutvergießen. Deshalb habe ich zusammen mit einem klugen Mann namens Sebastian Lotzer aus Memmingen die zwölf Artikel aufgeschrieben. Diese sollen alle bäuerlichen Forderungen ein-und für allemal unter einen Hut bringen.«
»Und was schlagt ihr vor, statt gegen den Truchseß in den Kampf zu ziehen? Willst du ihm vielleicht dein Geschreibselins Gesicht halten und sagen: ›Da, schau, was wir Bauersleut’ uns ausgedacht haben: Nun zieh von dannen und gewähr uns alle unsere Wünsche?‹«
Dettler war sichtlich um Fassung bemüht, als er antwortete: »Dieses ›Geschreibsel‹, wie du es so schön nennst und welches du noch nicht einmal zu Ende gehört hast, wollen wir dem Erzherzog selbst übergeben. Ist er einsichtig, könnte so ein
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