Die silberne Göttin
anschaute, so war sie sich doch der wachsenden Spannung in ihrem Innern bewusst. Dem Drang, von hier fort zu kommen. Hinaus zu kommen.
Einen gewissen Abstand zwischen sich und die überwältigende Männlichkeit Seiner Lordschaft zu bringen.
Er hatte nichts getan – absolut nichts –, was sie erschreckt haben könnte. Er beachtete jede Anstandsregel. Er nahm alle Mühen auf sich, um ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Er rührte sie nicht an. Und doch schien er mit seiner großen Gestalt und seiner lauten Stimme den Raum auszufüllen. Und … und noch mit etwas anderem. Eine unbezwingbare Energie ging von ihm aus, wurde spürbar in seinem herzlichen Lachen, in seiner Begeisterung für seine Bibliothek, in seiner unbändigen Lebensfreude.
So sehr sie es auch versuchte, es gelang ihr einfach nicht, Seine Lordschaft zu ignorieren. Bei den meisten Menschen gelang ihr das hervorragend. Die Schutzmauern aus intelligenter Konversation und absoluter Beherrschung ihrer Gefühle waren mit Bedacht aufgebaut, und sie pflegte sie sorgsam. Selbst Menschen, die sie mochte, mussten außerhalb dieser Mauern bleiben. Doch Lord Duncan … Selbst als sie über alte Hindumanuskripte sprachen und über sein Studium der verschiedenen Sprachen, das er zusammen mit Vijaya betrieb, ertappte sie sich dabei, dass sie mehr mit dem Mann als mit dem eigentlichen Gesprächsthema beschäftigt war.
Sie musste wieder nach Hause.
Kurz nachdem sie ein leichtes Mittagessen zu sich genommen hatten, ließ der Wind nach. Die Wolken verschwanden hinter dem Gebirge und machten einer gleißenden Helligkeit Platz. Iantha spähte aus dem Fenster.
"Endlich! Jetzt kann ich zu meinen Eltern zurückkehren und Sie von einem ungebetenen Gast befreien, Lord Duncan."
Seine Lordschaft gesellte sich zu ihr. "Alles andere als unerwünscht, Miss Kethley."
Iantha lächelte. "Sie sind sehr galant, Mylord, aber schließlich war ich doch wirklich ein ungebetener Gast. Würden Sie mir ein Pferd zur Verfügung stellen? Ich fürchte, ich kann Sie nicht auf die gleiche Weise verlassen, wie ich gekommen bin."
"Ich befürchte, Sie können das Schloss überhaupt nicht verlassen, Miss Kethley, zumindest für eine ganze Weile nicht. Nein, warten Sie." Er hob die Hand, als sie protestieren wollte. "Nur weil der Sturm sich gelegte hat, heißt das noch lange nicht, dass die Straßen frei sind."
"Aber ich muss nach Hause. Meine armen Eltern –"
"Ich bin sicher, dass sie außerordentlich besorgt sein werden. Aber das ändert auch nichts an den Schneeverwehungen. Nach einem Sturm dieses Ausmaßes werden sie völlig vereist sein."
Iantha fühlte, wie ihr das Herz sank. Sie musste fort. Er konnte sie nicht zum Bleiben zwingen. Er würde es auch nicht tun. Sie richtete sich auf und warf Seiner Lordschaft einen eisigen Blick zu. "Nichtsdestotrotz muss ich es versuchen. Kann ich nun ein Pferd haben oder nicht?"
Seine Lordschaft ließ ein verärgertes Schnauben hören. "Etwas sagt mir, dass Sie sich, sollte ich Ihnen ein Pferd verweigern, zu Fuß aufmachen werden. Nun gut, Miss Kethley. Holen Sie Ihren Mantel und treffen Sie mich dann in der Eingangshalle."
Iantha eilte die Treppen hinauf, zog eilig ihre eigenen Kleider an und warf sich ihren Pelzmantel über. Wenige Minuten später traf sie Lord Duncan in der Halle. Er trug seinen schweren Wintermantel und einen Hut. Wortlos führte er sie in den alten Teil des Schlosses.
Doch statt zu den Ställen hinunterzugehen, wandte er sich um und stieg die ausgetretenen Stufen einer Wendeltreppe empor. Iantha blieb stehen und blickte unwillig auf die alte Treppe. "Wo wollen Sie hin, Mylord?"
Er erwiderte ihren verärgerten Blick genauso finster. "Zu den Zinnen, Miss Kethley."
Iantha spürte, wie Panik in ihr aufstieg. "Nein! Ich steige nicht mit Ihnen dort hinauf. Ich gehe nach Hause. Ob Sie mitgehen oder nicht."
Doch bevor sie noch durch das alte Portal des Schlosses flüchten konnte, stürzte er die Stufen hinunter und packte sie am Arm.
"Miss Kethley, Sie stellen meine Geduld auf eine harte Probe. Wenn Sie unbedingt gehen wollen, dann werfen Sie wenigstens zuvor einen Blick auf das, was Sie draußen erwartet. Wenn Sie dann immer noch aufbrechen wollen, bin ich bereit, Sie zu begleiten."
Er drehte sich um und zog die widerstrebende Iantha die ersten Stufen einfach mit sich. Nach einigen Schritten riss sie sich los und starrte ihn wütend an. "Gut denn. Wenn Sie darauf bestehen, werde ich hinaufsteigen."
Seine
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