Die silberne Göttin
den direkten Weg vom alten Schloss zu dem Stockwerk, in dem Ihr Zimmer liegt. Ich denke, Ihr Malkoffer befindet sich dort."
"Ich danke Ihnen."
Iantha folgte ihm die Treppe hinunter und dann durch eine Verbindungstür. Nach einigen Biegungen standen sie vor der gesuchten Tür. Sie brauchte nur eine Minute, um zu finden, was sie suchte. Dann folgte sie Seiner Lordschaft wieder in den älteren Teil des Gebäudes. Dort ließ er sie allein, und sie suchte rasch nach dem Teil der Landschaft, den sie malen wollte.
Ganz versunken in ihre Arbeit, schreckte sie auf, als ein rothaariger Mann, den sie zuvor noch nicht gesehen hatte, neben ihr auftauchte. Er verbeugte sich höflich. "Guten Tag, Miss. Ich bin Thursby. Seine Lordschaft trug mir auf, Ihnen im Wachraum ein Feuer anzuzünden."
Er ging sofort ans Werk, kippte Zunder und Kohle in eine Kohlenpfanne, die in dem Raum bereits vorhanden war. Dann zog er noch einen wackeligen Stuhl aus einer Ecke, wischte ihn ab und schob ihn hinter Iantha. Sie war so in den Anblick der Schneelandschaft versunken, so sehr bemüht, ihren Zauber auf dem Papier wiederzugeben, dass sie gar nicht bemerkte, wie der junge Mann wieder ging.
Sie arbeitete den ganzen Nachmittag über. Nur wenn ihre Finger zu kalt wurden, um den Pinsel noch zu halten, machte sie eine kleine Pause, um sich die Hände an der Kohlenpfanne zu wärmen. Oder wenn sie in einem kleinen Gefäß Schnee für ihre Wasserfarben schmelzen ließ. Oder wenn die Farben am Pinsel festfroren.
Sie malte und malte.
Ihr Geist erhob sich, wie sich die Berge um sie herum erhoben, wie die sich hoch auftürmenden Wolken. Luft und Raum. Licht und Schatten. Sie ließen sie frei werden wie nichts anderes auf der Welt. Die Mauern fielen. Sie war nicht länger eine Gefangene an einem fremden Ort, noch war sie eine Gefangene ihrer eigenen Gefühle. Als das Licht langsam schwand, arbeitete sie umso verbissener in der Hoffnung, so viel wie möglich auf dem Papier festhalten zu können. Um ihr Werk zu vollenden, würde sie dann auf die Bilder in ihrem Kopf zurückgreifen müssen.
Sie bemühte sich gerade, den Glanz der letzten Sonnenstrahlen in ihrem Bild wiederzugeben, als Lord Duncan vor ihr auftauchte, die Arme über der Brust verschränkt. Erschrocken blickte sie auf. Für einen so großen Mann bewegte er sich erstaunlich lautlos.
"Haben Sie vor, die ganze Nacht hier zu bleiben, Miss Kethley?"
"Nur noch ein wenig länger. Ich muss das letzte Sonnenlicht ausnutzen …"
Er streckte die Hand aus, nahm ihr den Pinsel aus den starren Fingern und spülte ihn in dem Wasserbecher aus, an dem sich schon Eiskristalle gebildet hatten. Bevor Iantha protestieren konnte, legte er den Pinsel in den Kasten und schüttete das Wasser über die Brüstung. "Während der letzten drei Stunden war ich mehrmals hier oben. Doch Sie schienen so in Ihre Arbeit versunken zu sein, dass ich nicht das Herz hatte, Sie zu stören. Doch jetzt wird es kälter, und ich muss Ihnen Einhalt gebieten. Sie werden noch krank werden. Sie haben sogar Ihre Handschuhe ausgezogen."
Seine Miene zeigte deutlich seine Missbilligung, während er ihre handschuhlose Hand in seinen Händen wärmte.
"Es ist sehr schwer, mit Handschuhen zu malen. Wirklich, ich weiß gar nicht, wann …" Automatisch wollte Iantha die Hand zurückziehen, doch er ließ sie nicht los. Und dann tat die Wärme seines festen Griffs so gut, dass sie es mit einem Mal auch nicht mehr wollte. Sie begann zu zittern. "I – Ich habe gar nicht gemerkt, wie k – kalt mir ist." Sie klapperte mit den Zähnen. "Ich w – war so ins Malen versunken …"
Seine Lordschaft zog sie hoch. "Das Einzige, worin Sie sich jetzt versenken sollten, ist ein Bottich mit heißem Wasser. Ich fürchte, Ihre Finger könnten erfroren sein – oder Ihre Zehen. Können Sie Ihre Füße fühlen?"
Iantha wackelte mit den Zehen. "Ein wenig. Ich glaube nicht, dass sie erfroren sind."
"Kommen Sie jetzt. Ich werde Thursby hier heraufschicken, um ihre Malsachen zu holen. Ich habe Burnside beauftragt, Ihnen ein Bad zu bereiten." Er nahm sie beim Ellbogen und half ihr über die verwitterten Stufen hinunter.
Iantha konnte seine Kraft durch den Arm hindurch spüren bis hin in die Fingerspitzen.
Sie konnte sich einfach nicht gegen ihn abschirmen.
3. Kapitel
Sie schwebte die Stufen hinunter. Wie eine Geistererscheinung, die nur durch den Wunsch des Betrachters zum Körper wurde. Rob hielt fast den Atem an, aus Furcht, sie könnte einfach
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