Die Sirenen von Kalypso
hatten.
»Vor langer Zeit«, fuhr Lystra fort, »errichteten die Mreyd Tunnel durch den Kosmos. Sie schufen Linien, die gerader waren als eine Gerade.«
»Ich weiß, ich weiß«, rief Tajima. Sein Blick klebte an den Lippen Lystras.
»Sie schufen Tore, Eingänge in diese Tunnel. Schreitet man in ein solches Tor, dann befindet man sich nur einen Atemzug später auf einer anderen Welt. Ohne Zeitverlust. Ein solcher Tunnel führt auch nach Kalypso.«
»Und das Tor? Weißt du, wo sich das Tor befindet?«
Sie sah ihn lange an und zögerte. »Ist es dein Wunsch, nach Kalypso zu gehen und dem Gesang einer sterbenden Sirene zu lauschen?«
Er blickte zu Boden. »Ich weiß es nicht. Aber in meinem Innern … die vielen Fragen … und die Antworten …«
»Du kannst nicht gehen.«
Etwas Kaltes umfaßte sein Herz. »Warum nicht?«
»Weißt du es nicht? Du bist mentalabhängig von deiner Dienstfamilie, Tajima. Es ist ein Zwang, der in jeder einzelnen Zelle deines Körpers wohnt. Seit deiner Geburt. Wenn die Brutmönche der Asketischen Kirche einen Soldaten schaffen, dann geben sie ihm diese Mentalabhängigkeit mit ins Leben. Selbst wenn dein Ich es wollte … dein Körper kann den Ohtaniclan nicht verlassen. Fieber würde dich erfassen und zurücktreiben in den Einflußbereich des Clans. Und selbst wenn du das Fieber überstehst: Schmerz würde deine Gedanken versengen und dich schließlich umbringen. Nein, Tajima, du kannst deiner Mentalabhängigkeit nicht entrinnen. Ein Dienstmagier der Ohtanis brauchte nur ein entsprechendes Bannwort zu murmeln, und du kämst reumütig zurück.«
»Das habe ich … nicht gewußt …«
Lystra strich ihm mit einer Hand durchs Haar, streichelte dann seine Wangen.
»Ich kann mir vorstellen, was jetzt in dir vorgeht.«
»Nein«, sagte Tajima fest. »Das kannst du nicht. Das kann niemand außer mir.« Er blickte auf. »Ich bin ein Soldat, der Angst hat. Ich bin damit ein Unikum. Ich kann kämpfen, gut kämpfen sogar, aber meine Angst ist ein ständiger Begleiter. Vielleicht denke ich zuviel für einen Soldaten. Ich bin sicher, daß meine Kameraden glücklicher sind als ich. Und ich weiß, eines Tages werde ich im Kampf sterben. Endgültig sterben. Ohne Antwort auf meine Fragen gefunden zu haben. Ohne das gesehen zu haben, von dem ich träume.«
Stille schloß sich an seine harten Worte an, nur unterbrochen vom Plätschern des Wassers im Brunnen.
»Doch, Tajima«, sagte Lystra weich. »Ich kann dich verstehen. Besser vielleicht, als du glaubst. Nun …« Sie zögerte. »Es gibt eine Möglichkeit …«
»Welche?« Neue Hoffnung war in dem Soldaten entstanden.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht jetzt, Tajima. Geh nun. Und denke über meine Worte nach.«
»Ist meine Zeit mit dir um?«
»Nein. Nicht ganz.« Sie deutete auf das weiße Zwerggestirn am Himmel. Es hatte den Horizont beinahe erreicht. »Eine Stunde noch. Vielleicht. Nicht viel mehr jedenfalls. Und diese Zeit ist kostbar und darf nicht verschwendet werden. Denke über meine Worte nach. Es gibt eine Möglichkeit für dich. Aber sie ist mit großen Gefahren verbunden: endgültiger Tod vielleicht. Denke nach und werde dir über deine Wünsche klar. Du hast eine wichtige Entscheidung zu treffen.«
»Weißt du, wo sich das Mreydtor befindet, das nach Kalypso führt?«
»Es befindet sich hier auf Leseitis. Und ich weiß, wo.«
»Dann …«
»Nein, warte. Entscheide nicht voreilig.« Ein seltsamer Ausdruck war in ihrem Gesicht. Tajima vermochte ihn nicht zu deuten. Eine Mischung aus Mitleid und Resignation. Und noch etwas anderes. Etwas, das getan werden mußte, aber nur widerwillig und mit großem Mißbehagen. »Es ist wahrscheinlich die wichtigste Entscheidung deines Lebens. Sei … wachsam, Tajima.«
»Wachsam? Warum?«
Doch die Geschichtenerzählerin wandte sich ohne eine Antwort um und schritt davon. Tajima blickte ihr nach, bis sie im Dunst des Zwischenabends verschwunden war. Nachdenklich kehrte er in sein Quartier zurück.
Duftende Dämpfe wallten durch den halbdunklen Raum. Tajima schritt an den Nischen vorbei, in denen die Träumer hockten, über tönerne Schalen gebeugt, in denen die Halluzinationskräuter schwelten. Tajima hatte es gelernt, den Traumdämpfen sofort die Wirkung zu nehmen, sobald er etwas spürte. Das, dachte er, ist ein Vorteil von Hybriden: Sie vermögen ihre Körper besser zu kontrollieren als auf natürliche Weise entstandene Menschen. In Sudmar wurden die Halluzinationskräuter zu
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