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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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Deshalb habe ich auch kein schlechtes Gewissen. Wahrscheinlich bin ich von Natur aus ein Schuft, oder mit meinem Kopf stimmt etwas nicht, denn von irgendwoher muss es ja kommen. Von irgendwas wird der Mensch geleitet.
    – Rex
    Ich faltete den Zettel zusammen und legte ihn in die Aussparung zurück. Der Spiegel lag zerbrochen auf dem Boden, und ich rührte mit der Stiefelspitze in den Scherben. Ich dachte eigentlich gar nichts, sondern wartete, wartete auf irgendeinen Gedanken, irgendein Gefühl. Als sich weder das eine noch das andere einstellte, ging ich nach draußen und holte Charlie von seinem Pferd Nimble herunter. Crane hatte ihm eine Tropfflasche mit Morphium mitgegeben, und er war während des gesamten Ritts praktisch nicht aufgewacht. Das ging zeitweise so weit, dass ich ihn auf seinem Pferd festbinden und es am Zügel führen musste. Nur von Zeit zu Zeit zuckte er hoch und merkte, dass seine Hand nicht mehr mit seinem Arm verbunden war. Was er aber auch immer wieder vergaß, sodass ihn der Schreck und das Elend bei der Erkenntnis, dass es so war, umso härter trafen.
    Ich brachte ihn auf sein Zimmer, und er kroch auf die nackte, durchgelegene Matratze. Ehe er erneut in den Dämmerzustand versank, sagte ich ihm, ich müsse noch einmal fort. Er fragte nicht, wohin, und hätte ohnehin nichts machen können. Er biss die Zähne zusammen und winkte mir mit seinem bandagierten Stumpf. Ich überließ ihn dem Morphium-Tran und stand noch eine Weile an der Haustür und überlegte, was uns geblieben war. Ich hatte nie viel für diese Bude übrig gehabt, was nicht verwunderlich war, wenn man sich so umsah. Das rotweinfleckige Bettzeug und das angestoßene Geschirr waren nun wirklich keine Visitenkarte. Ich wusste, hier würde ich nie wieder schlafen. Mit dem Pferd war man in einer Stunde in der Stadt. Ich war ruhig und entschlossen, hatte ein Ziel vor Augen. Obwohl ich seit vielen Tagen im Sattel saß, war ich nicht im Mindesten müde oder abgespannt. Vor allem hatte ich keine Angst.
    Das Anwesen des Kommodore war dunkel bis auf ein paar trübe erleuchtete Fenster im Obergeschoss. Der helle Mond stand hoch am Himmel, sodass ich erst einmal unter der alten Zeder an der Grundstücksgrenze Deckung suchte. Ich sah, wie ein Dienstmädchen, mit einer leeren Waschschüssel unter dem Arm, das Haus durch den Hintereingang verließ. Sie war über irgendetwas aufgebracht und fluchte leise, während sie ihrer Dienstbotenhütte zustrebte, die etwas abseits lag. Ich wartete eine volle Viertelstunde, ob sie nicht zurückkehrte. Sie tat es nicht, also lief ich geduckt durch den Garten auf das Haus zu. Das Dienstmädchen hatte den Hintereingang offen gelassen, und ich gelangte problemlos in die Küche. Alles war still, kühl und sehr ordentlich. Was hatte der Kommodore dem Mädchen angetan? Ich schaute kurz zu ihrer Hütte hinüber, aber dort war alles ruhig und unverändert. Sie hatte eine Kerze angezündet und ins Fenster gestellt, das war alles.
    Langsam erklomm ich die mit Teppich belegte Treppe und stand bald vor der Tür zu seinen Gemächern. Dahinter hörte ich, wie er jemanden, den ich nicht kannte, beschimpfte und beleidigte. Ab und zu murmelte der Betreffende leise Entschuldigungen, aber wer er war und was er verbrochen hatte, blieb mir ein Rätsel. Nach empfangener Erniedrigung schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen. Als seine Schritte näher kamen, drückte ich mich eng in den toten Winkel neben der Tür. Ich hatte keine Pistole, nur ein flaches stumpfes Klappmesser – die Leute hier würden sagen einen Käsedolch, den nahm ich fest in die Hand. Doch die Tür schwang auf, und der Mann ging an mir vorbei und die Treppe hinunter, ohne von mir Kenntnis zu nehmen. Er verließ das Haus durch die Hintertür, und ich schlich mich ans Fenster am Ende des Flurs, um seinen weiteren Weg zu verfolgen. Der führte ihn in die Dienstbotenhütte, wo er bald am Fenster auftauchte und einen bitteren Blick auf das Herrenhaus warf, sodass ich mich schnell ducken musste. Doch die Kränkung in seiner Miene, die konnte ich selbst aus der Deckung heraus gut sehen. Dabei war es eine Verbrechervisage, wie sie im Buch steht, jede Falte ein mieser Zug. Aber jetzt stand er da, geknechtet und kujoniert und zutiefst gedemütigt und unfähig, daran das Geringste zu ändern. Dann blies er die Kerze aus, und es wurde dunkel in der Hütte, und ich schlich zurück zur Tür des Kommodore. Sie war offen geblieben, und ich trat ein.
    Das Quartier des

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