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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ermordet wurde, hielt dieser sich wie üblich in seiner Praxis auf. Dort war er auch am Nachmittag nach der Essenspause und einem Nickerchen von einer halben Stunde. Doch er hatte nicht seine gewohnte Laune und war richtiggehend nervös. Heute fehlte ihm die Geduld für die Kleinkinder mit den verklebten Augen, und er regte sich wegen der Patienten mit Dreitage- und Viertagewechselfieber auf. Als er bei einem hinten am Hals ein Karbunkel entfernen sollte, den man wegen seines Gewichts und seiner Angst vor dem Skalpell einfach nicht festhalten konnte, geriet er in Rage.
      Gerade als er die Praxis schließen und sich auf den Heimweg machen wollte, wurde dringend nach ihm gerufen: das Meer habe einen halbertrunkenen Fremden an Land gespült. Als Gammacurta ihn dann zu Gesicht bekam, begann er lauthals zu fluchen: »Zum Teufel mit euch allen! Was heißt hier halb ertrunken! Seht ihr nicht, daß der schon seit mindestens einer Woche tot und von den Fischen angefressen ist? Holt, wen ihr verdammt noch mal wollt, den Pfarrer, den Kommissar, aber geht mir bloß nicht auf die Eier!«
    Schlechte Laune war bei Gammacurta, in Stadt und Land
    als freundlich und wohlerzogen bekannt, überaus merkwürdig. Der Grund dafür war, daß er an diesem Abend ins Theater gehen mußte und daß kein Heiliger ihn davor bewahren konnte. Im Bürgerverein hatte er sich Gemahlin gemacht, mit der er tags zuvor einen heftigen Wortwechsel gehabt hatte:
      »Ich habe mir eigens für den Anlaß in Palermo ein Kleid schneidern lassen!«
      Der Arzt hatte sich das Gewand angesehen. In seinen Augen war es eher ein Karnevalskostüm. Aber selbst im Karneval wäre es für eine echte Dame eine Zumutung gewesen, sich damit zu zeigen. Wie auch immer, der Theaterbesuch war für Madame längst beschlossene Sache.
    »Ich kann dir gleich sagen, daß die Musik nichts taugt.«
      »Ach ja? Woher weißt du das? Bist du jetzt ein Musikwissenschaftler geworden? Und im übrigen mache ich mir sowieso nichts aus Musik.«
    »Warum willst du dann in die Oper gehen?«
    »Weil die Signora Cozzo auch hingeht.«
      Das war ein Argument, das keine Gegenrede zuließ. Frau Cozzo, die Gattin des Vereinsvorsitzenden, war ein rotes Tuch für Frau Gammacurta.
    Das Anziehen war mühselig, und nichts wollte ihm
    gelingen. Wie betäubt war er von den heftigen Stimmen aus dem Nebenzimmer, wo sich seine Frau mit Hilfe der offensichtlich ungeschickten Dienerin Rosina zurechtmachte. Der Knopf des Hemdkragens wollte nicht zugehen und fiel dreimal auf den Boden; von den Manschettenknöpfen fand er nur einen; den anderen Kleid von Frau Cozzo, die mit ihrem Gatten zwei Reihen hinter ihnen saß, lange nicht so viel Aufsehen erregt hatte wie das ihre. Der Arzt sah sich um: die Mitglieder des Zirkels, mit denen er Grußworte, Lächeln und stumme Zeichen austauschte, hatten alle strategisch günstig in den Logen und im Parkett Stellung bezogen.

    Das Bühnenbild stellte den Hof einer Brauerei im englischen Preston dar, was auf den Zetteln stand, die am Theatereingang verteilt worden waren. Linker Hand sah man die Fassade eines zweistöckigen Gebäudes mit einer Außentreppe, rechts war ein großes eisernes Tor aufgebaut und im Hintergrund eine Backsteinmauer mit einer Tür in der Mitte. Überall standen Schubkarren, Säcke mit wer weiß was gefüllt, Schaufeln und Körbe herum.
      Die Musik setzte ein, und mit grauer Schürze vor dem Leib tauchte auf, der dem Gedruckten nach Bob, der Vorarbeiter, war. Heiter und vergnügt begann er eine Glocke zu läuten. Sogleich traten sechs Personen, ebenfalls die Arbeitsschürze vorgebunden, durchs Tor. Doch statt sich an die Arbeit zu machen, stellten sie sich in einer Reihe vor den Leuten im Theater auf. Ihren Gesichtern und Gesten nach mußten sie noch glücklicher sein als ihr Vorarbeiter. Dieser sah sie an, breitete die Arme aus und begann zu singen:
    Freunde, zur Fabrik
    Das Bier brauen wir.
      Der Vorarbeiter Bob drehte eine Runde um den ganzen Hof und stellte das Werkzeug zur Schau.
    Der unsre ist der beste
    von sämtlichen Berufen.
      Die sechs umarmten sich und verabreichten einander kräftige Schläge auf den Rücken.
    Von sämtlichen Berufen.
      Und Bob sang, vom Karren zum Sack und vom Sack zu einem Stapel Körbe eilend:
    Wir machen ein Bier,
    das bereitet Pläsier.
      »Dir schmeckt das vielleicht«, rief einer mit lauter Stimme, der auf einem der Plätze genau unterm Schnürboden saß. »Für mich ist Bier eine Pißbrühe, ich

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