Die Skelettbande
gesunde Zeug gegessen haben.«
Klößchen machte übertriebene Würgegeräusche.
Karl schmunzelte. Seine Laune
schien sich durch Klößchens »Darbietung« etwas aufzuheitern. »Dann seid ihr
durch so was ja auch schon durchgegangen und wisst, wie man sich dabei fühlt«,
sagte er. Gaby und Klößchen nickten.
Tim äußerte sich dazu nicht.
Bei ihm hatte das Schicksal besonders hart zugeschlagen, denn sein Vater war
bei einem Unfall ums Leben gekommen, als Tim noch ein kleiner Junge gewesen
war. Seine Mutter kümmerte sich seitdem besonders liebevoll und fürsorglich um
ihren Sohn.
Karl drehte sich vom Fenster
weg und steuerte auf das deckenhohe Regal im hinteren Teil des Wohnzimmers zu,
das vollgestopft mit Büchern war. »Jedenfalls sind meine Eltern jetzt für ein
paar Tage zu so einer Ehe-Therapiegruppe gefahren.« Er hob skeptisch eine
Augenbraue. »Dort lernen Paare in Gesprächsgruppen, wie sie ihre
Beziehungsprobleme in den Griff bekommen. Hoffentlich kommt so alles wieder ins
Lot.« Er zog mehrere Bücher aus dem Regal hervor und legte sie nebeneinander
auf dem ovalen antiken Tisch aus, der in der Mitte des Raumes stand. »Seit Mama
diese Machwerke liest, ist sie eine andere geworden. Und seitdem streitet sie
sich nur noch mit Papa.«
Die anderen kamen neugierig
herbei. »Warum das denn?«, wunderte sich Gaby. Karl las die Titel der Bücher
laut vor. Eines hieß Denk zuerst an dich, die anderen beiden Das
gesunde Ego und Ich bin die Nummer eins.
»Was sind das für Bücher?«,
wollte Klößchen wissen.
»Sogenannte Lebensratgeber«,
erklärte Karl. »Sie sind immer nach dem gleichen Muster gestrickt und verkaufen
sich meistens blendend, weil die Menschen heute materiell zwar alles haben,
aber dennoch unzufrieden sind und nach Sinn und Halt in ihrem Leben suchen.«
»Sozusagen moderne
Ersatz-Religionen«, fügte Tim hinzu.
»So könnte man es wohl nennen«,
antwortete Karl nachdenklich. »Mama scheint etwas in ihrem Leben zu fehlen,
sonst hätte sie sich so etwas nicht gekauft.«
»Ich würde das nicht so negativ
sehen«, meinte Gaby. »Viele Menschen suchen nach spiritueller Tiefe.«
»Das stimmt schon«, sagte Karl,
»aber diese Bücher hier zielen in eine ganz andere Richtung.«
»Inwiefern?«, wollte Gaby
wissen und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Ich hab da mal reingelesen,
nachdem Mama anfing ihr ganzes Leben infrage zu stellen, andauernd an Paps
herumnörgelte und ständig mit ihm stritt.
Ich wurde hellhörig, als sie
sagte, dass sie eigentlich niemand anderen bräuchte, um glücklich zu sein.«
Die anderen schauten fragend.
»Diese Bücher frönen dem
absoluten Hedonismus.«
»Dem was?« Klößchen wurde
neugierig.
»Hedonismus war ursprünglich
eine philosophische Strömung, die die Lebenslust als höchstes Gut und als
Bedingung für Glückseligkeit ansah.«
»Das ist doch toll! Meine
Lebenslust ist die unbändige Lust nach Schokolade. Vollmilchschokolade,
Zartbitterschokolade und auch Marzipan und...«
»Klößchen!!«, unterbrach Gaby
ihn. »Lass Karl weitererzählen!«
»Schon gut, schon gut«,
flüsterte Klößchen kleinlaut.
»Also«, fuhr Karl fort, »heute
bedeutet Hedonismus eher eine egoistische Lebenseinstellung, die man mit
unserer sogenannten Spaßgesellschaft in Verbindung bringt.«
»Und in diesen Büchern wird —
den Titeln nach zu urteilen — nun wahrscheinlich dazu aufgefordert, dass sich
der Einzelne nur noch um sich und sein eigenes Glück kümmern soll«, schloss
Tim.
»Genau«, bestätigte Karl.
»Das ist nicht gut«, bemerkte
Gaby. »Wer schreibt denn so was?«
»Ein gewisser Henry Hedonis.
Wahrscheinlich ist das gar nicht sein richtiger Name, sondern ein Pseudonym.
Ich habe bereits im Internet über ihn recherchiert, konnte aber nicht viel in
Erfahrung bringen. Er gibt kaum Interviews. Aber er ist schon sehr bald hier in
der Stadt. Für eine Lesung aus seinem neuesten Buch.«
»Den sollten wir uns auf alle
Fälle mal angucken. Vielleicht nehme ich Mama mit, damit sie mich endlich in
Ruhe lässt und ich ungezügelt der Schokoladenlust frönen kann«, brabbelte
Klößchen geschwollen daher. Die anderen lachten.
»Dann sind wir dieses
Wochenende hier in der Villa?«, fragte Karl. Man hörte eine leichte
Unsicherheit in seiner Stimme. Er war froh, dass Tim, Klößchen und Gaby da
waren und er nicht alleine sein musste. Sonst hätte er die ganze Zeit nur
trüben Gedanken nachgehangen.
»Na klar!«, sagten die anderen
gleichzeitig. Karl
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