Die Socken des Kritikers
es überhöre.
Da ging eine Tür des Zuschauerraumes auf. Der Direktor kam, gestützt auf die vornehme Dame, herein und setzte sich im Dunkel in ein Fauteuil. Wortlos.
Der Regisseur sah, wie alles am Altmeister sich veränderte. Er begann schneller zu sprechen, intensiver zu proben und setzte sich nicht mehr mit ihm auseinander, sondern mit einer dritten Dimension.
»Findet
er
das gut?«, fragte der Altmeister ins Dunkel.
»Er
hat doch immer gesagt …«
Immer und immer wollte sich der Altmeister auf Gesagtes des Direktors beziehen, berufen.
Was aber spricht gegen die Annahme, dachte der Regisseur, dass der Direktor nie etwas gesagt hat? Nur immer nachgesagt, was ihm von seinem Altmeister vorgesagt wurde, um ihm die Chance zu geben, etwas zu sagen?
»Mit der Pointe drehen Sie sich jetzt ab und nehmen die klassische Position in der Flügelbeuge ein«, regte der Regisseur an.
Der Altmeister tat wie vorgeschlagen und fragte in den Zuschauerraum: »Findet
er
das gut?«
Es kam keine Antwort, aber der Regisseur wusste, er musste einschreiten, bevor eine Antwort kommen konnte.
Laut sagte er: »Mein Lieber, ich habe Sie in allen Produktionen, die ich bisher von Ihnen gesehen habe, hier in der Beuge stehen sehen, wir sollten jetzt nicht zu diskutieren beginnen, ob das
gut
ist. Die Zeit ist zu knapp.«
Es wurde weitergearbeitet.
Doch die sich aufbauende Spannung wurde unerträglich. Der Altmeister wusste nicht mehr aus noch ein: hier seine Verpflichtung, seriös zu arbeiten, und da seine Lebensaufgabe,
ihn
, den todkranken
er
, ins Spiel zu bringen, gut aussehen zu lassen.
Da kam aus dem Dunkel das Wort: »Puppo!«
Der Altmeister ging an die Rampe.
»Was will
er
?«
»Was trägst du für Schuhe?«
»Die bequemen, die
er
mir gekauft hat für die Proben, die weichen.«
»Puppo, die solltest du bei der Premiere tragen, damit bewegst du dich so natürlich.«
Dem Regisseur war klar: Jetzt hatte der alte kranke Mann da unten den Entschluss gefasst, seinerseits die Rituale der Abhängigkeit noch einmal durchzuspielen.
Der Regisseur ging an die Rampe. Er sagte:
»Die vielen Male, die ich den Altmeister auf der Bühne gesehen habe, hatte er immer Stiefeletten mit hohem Absatz an, die ihn noch graziler, noch eleganter machten. Wenn er sich darin unnatürlich bewegt, dann hätte das den beiden Herren schon vor zwanzig Jahren auffallen müssen. Jetzt ist es dafür zu spät.«
Der Altmeister stand reglos.
Der Regisseur wartete ab. Im Zuschauerraum versuchte der Direktor aus eigener Kraft aufzustehen. »Hilf mir«, hörte man.
Der Regisseur schaute zum Altmeister. Dessen Blick aber wanderte zum Pianisten.
Der Ephebe stand auf, sprang in den Zuschauerraum, half dem Direktor hoch und führte ihn auf eine Art hinaus, dass der Regisseur auch diese Konstellation sofort begreifen musste.
»Das ist ein guter Junge«, sagte der Altmeister, »ein guter Junge und ein fabelhafter Pianist. Er tut
ihm
gut, er kümmert sich sehr um
ihn
, wenn ich keine Zeit habe.«
Der Altmeister weinte.
»Können wir jetzt proben?«, fragte der Regisseur. »Ja«, sagte der Altmeister unter Tränen.
»Er
hat mir immer gesagt, auf der Probe hat dieser ganze private Quatsch nichts verloren.«
Eine Frau mit Geheimnis
Der Buffo fiel fast vom Hocker. Eine Frau kam in die Kantine des Theaters, grüßte leicht, ging zum Zigarettenautomaten, holte sich ein Päckchen heraus und ging wieder. Diese Frau war von einer nur in Illustrierten oder Fernsehreklamen zu besichtigenden Vollkommenheit. Groß, schlank, tadellose Beine, Traumbusen, schwarz glänzendes Haar.
»Kennst du die?«, fragte der Buffo fassungslos den Kantinenwirt.
»Nein, hab ich zum ersten Mal gesehen.«
Der Buffo war Erotomane, wäre man weniger fein, würde man sagen: chronisch geil. Er nützte seine Popularität bei den Friseusen und Kellnerinnen der Provinzstadt weidlich aus, interessierte sich, weil selbst karrierebehindernd klein, besonders für große Frauen, hatte auch einen ständigen Kontakt mit einer langen Tänzerin des Balletts, an der ihn allerdings der zu kleine Busen und die berufsbedingt stark bemuskelten Beine störten. Die Frau, die da eben wie eine Erscheinung in den Raum getreten war, war allem, was dem Buffo sonst zugänglich schien, um Lichtjahre voraus.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass
diese
Frau an
diesem
Theater engagiert sein könnte, denn, so dachte er, wäre das eine Sängerin oder eine Schauspielerin, müsste sie bei ihrem Aussehen gänzlich stimmlos
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