Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
Vom Netzwerk:
Umbesetzung.« Der Dramaturg schüttelte sich über seinen Joke.
    Der Club lag am Ende einer schmalen Gasse der Altstadt. Die Künstler wankten über gut erhaltenes Kopfsteinpflaster, der Dramaturg pinkelte in einen Hauseingang. Diese Gasse erinnerte den Buffo ganz besonders daran, in welcher Stadt er gelandet war und in der er – wenn er nicht achtgab, wenn er nicht rechtzeitig den Entschluss zum Weggehen fasste – auch enden würde, womöglich als Betriebsrat, als Ensemblesprecher. Allerdings,
sie
ist ja auch hier, dachte er und sah in seiner Fantasie die Frau mit Geheimnis im
Club Eve
auf ihn warten.
    Die neuen Damen des Clubs waren auch nicht schöner als die der vergangenen Monate, sie entsprachen nicht einmal den Vorstellungen des Dramaturgen. Der Buffo stellte ohne Rücksicht auf gedemütigte Zuhörerinnen fest: »Die neue Salondame ist schärfer als dieser ganze Puff.«
    Der Dramaturg bestätigte das, sich an seinen Hoden kratzend. Der Buffo blieb beim Thema, fast schon aus Gewohnheit.
    »Sag, wie kommt diese Frau an unser Theater?«
    Der Dramaturg machte sein allwissendes Gesicht.
    »Das weißt du nicht, warum die untertauchen musste? Sozusagen aus dem Schussfeld verschwinden?«
    »Nein«, sagte der Buffo, »du?«
    Im Gesicht des Dramaturgen lief ein Porno ab.
    »Hast du nicht diese Geschichte gelesen, ungefähr ein Jahr ist die alt, da hat es im exklusivsten Stundenhotel des Regierungssitzes einen hohen Ministerialbeamten erwischt, auf einer Dame, Herzschlag, eine größere Affäre, der Mann war verheiratet, man hat das irgendwie heruntergespielt, aber peinlich war es natürlich. Was die Dame anlangt, sind die Zeitungen nicht über Andeutungen hinausgegangen, aber so viel stand immerhin fest: eine bekannte und besonders attraktive Schauspielerin des Boulevard.«
    Der Buffo hüpfte vom Barhocker. »Und das ist die –?«
    »Natürlich«, antwortete genüsslich der Dramaturg. Angesichts dieser Eröffnung erschien dem Buffo das Lokal nur mehr als erotische Frittenbude.
    In der Nacht dachte er, wenn ich die ins Bett kriege und dann wer stirbt, dann sie, das schwöre ich. Und: Man muss das ganz anders singen, die zweite Zeile:
Mädchen gibt es wunderfeine, doch wer liebt, der sieht nur eine
, das muss man ganz intensiv singen, total geil, dieses
doch wer liebt, der sieht nur eine
…, nicht so beschissen wie dieser Idiot von Tenor.
    Der Buffo, an den folgenden Tagen weiterhin ohne Erfolg in Sachen Annäherung, versuchte sich von seinem Stau durch Maulhurereien zu befreien. Er erzählte allen möglichen Leuten, mehr oder weniger diskret, seine Informationen über das Vorleben der Frau mit Geheimnis. Die Geschichte war erregend genug, um sich nicht nur über das Theater zu verbreiten, sondern auch die kunstinteressierten Söhne der Stadträte und Drogisten, der Zahnärzte und Tuchhändler zu erreichen. Auch deren Väter.
    Das allzu vertraute, allzu brave Theater hatte plötzlich eine Aura, verlieh der Stadt einen gewissen Glanz. Denn wo noch können sich die Premierenabonnenten auf eine Salondame freuen, die einen hochrangigen Politiker zu Tode gebumst hat. Man fühlte sich über diese Bettgeschichte mit den Abgründen der großen diplomatischen Welt verbunden. Für die Pause der bevorstehenden Komödienpremiere waren manch wissendes Lächeln, manche delikat-witzige Anspielung zu erwarten.
    Der Buffo sah sich die für Kollegen zugängliche Hauptprobe der Boulevardkomödie an, sah die Frau mit Geheimnis in einem dem Sujet entsprechenden Dekolleté und bemerkte an sich einschlägige Reflexe.
    Nach der Probe ging er ins Theaterlokal, und als er da so saß, mit seinem Beruhigungsdrink, traute er seinen Augen nicht. Erstmals kam die Frau mit Geheimnis herein, an der Seite des alten Oberspielleiters, eines resignierten, an Damen nicht mehr aktiv interessierten Herrn.
    Dem Buffo gerann das Blut, als sich die Frau mit Geheimnis freiwillig, ohne sein Zutun, auf den Hocker an seiner Seite setzte, auf der anderen Seite flankiert vom Oberspielleiter. Die beiden eben Gekommenen waren von der Probe müde und schwiegen.
    »Ich will nichts verschreien«, sagte der Buffo. »Aber ich find’s toll.«
    »Waren Sie drinnen?«, fragte die Frau mit Geheimnis nicht sehr interessiert.
    »Natürlich«, antwortete der Buffo und stellte sich vor: »Ich bin ein Kollege von der Operette –«
    »Ich weiß, ich hab die Fotos gesehn.«
    Der Buffo nahm seine ganze Frechheit zusammen. »Wenn Sie – nach der Premiere – einmal Zeit haben,

Weitere Kostenlose Bücher