Die Socken des Kritikers
nach zwei Jahren stand das
Theater im Ort
wieder auf dem Tourneeplan.
Diesmal war es Herbst, nicht Frühling. Aber das war nicht der Grund, warum alles nicht mehr ganz so schön war. Der Prinzipal erwartete uns wohl wieder, war aber bald nach der Begrüßung ein wenig verstört, weil wir nicht wussten, welchen Erfolg er mittlerweile gehabt hatte.
Das
Theater im Ort
hatte nämlich – und das nicht zu wissen war kaum verzeihbar – mit Eigenproduktionen begonnen. Mit einem teilweise professionellen Ensemble.
Als Leiter einer Gastspielbühne kann einer, der sehen kann, viel lernen, und so hatte der Prinzipal selbst zu inszenieren begonnen. Und eine gegen den üblichen Strich gebürstete Inszenierung eines konventionellen Erfolgsstückes hatte bei einem Theatertreffen, von dem gehört zu haben ich mir nicht sicher war, den ersten Preis gewonnen. Mit dieser Produktion sei, erzählte der Prinzipal, das
Theater im Ort
eigentlich selbst auf Tournee.
»Ich müsste ja auch bei meinen Leuten sein, genau genommen, ich bin nur wegen euch gekommen, weil meine Frau ja auch erst nach Ende der Vorstellung da sein kann. Sie ist nämlich mit dem Älteren auf einem Turnier.«
»Auf welchem Turnier?«, fragte ich.
Der Prinzipal war kurz verwundert.
»Ach so, das kannst du ja noch gar nicht wissen. Der Junge ist die Nummer eins im Tennis in seiner Altersklasse, auf dem Weg zur absoluten Spitze.«
»Der ganze Vater«, sagte ich.
Der Prinzipal hatte sich ein wenig verändert. Er war dicker geworden, vorsätzlich schlecht rasiert, und hatte seine Frisur in Richtung Künstler stilisiert. Aus allen Worten und Gesten sprach die große Verantwortung für alles, die Verpflichtung des Managers, sich für das allgemeine Gedeihen aufopfern zu müssen, da keinem zweiten Menschen auf der Welt die Bewältigung der gestellten kulturellen Aufgaben zuzutrauen sei.
Er zeigte uns die neuesten Errungenschaften seines Theaters. In einer Nebenhalle der ehemaligen Kleinfabrik war ein Probenraum entstanden, um den größere Bühnen das
Theater im Ort
hätten beneiden können. Da das
Große Haus
– das war das Theater, das wir vor zwei Jahren kennengelernt hatten – durch Wegbrechen der Rückwand vergrößert und somit für mehr Publikum zugänglich gemacht worden war, hatte es für experimentelle Kleinkunst keinen geeigneten Raum mehr gegeben. Ein
Studio
war nötig geworden. Auch dafür hatte die alte Seilfabrik noch eine räumliche Möglichkeit geboten.
Alles, was wir sahen und hörten, war überzeugend. Nur ein wenig routiniert und abgespult. Wie das Programm des Theaters, das aufwendigen Plakaten im Schaukasten zu entnehmen war und lange, präzise Vorausplanung verriet.
Die für uns nicht so ganz erfreuliche Tatsache, nicht ausverkauft zu sein, begründete der Prinzipal mit dem tollen, überintensiven Angebot der letzten Wochen. Er müsse zugeben, das mögliche Publikumsreservoir sowohl programmatisch als auch finanziell bis an die Grenze ausgeschöpft zu haben.
Im Theater war alles perfekt. Es gab jetzt noch mehr junge Leute, die Funktionen hatten. Dafür lagen in der Garderobe Brötchen aus einem Delikatessengeschäft.
Ja, und dann kam noch eine attraktive junge Frau auf uns zu und stellte sich als das neue Betriebsbüro vor. Ich hatte eine andere Mitarbeiterin in Erinnerung, doch gab mir der Prinzipal auf meine Frage zu verstehen, es sei seiner Frau wegen nicht günstig, sich nach dem Grund des Wechsels in dieser Position zu erkundigen.
Die Prinzipalin kam – schön wie eh und je, aber total abgehetzt – gerade noch zum Schlussapplaus, umarmte uns in der Garderobe, gratulierte zum Erfolg und beklagte, selbst keinen gehabt zu haben. Ihr Tenniskind hatte verloren, was den Prinzipal zu Schimpfkanonaden über einen unfähigen Jugendtrainer veranlasste.
Ich hätte nicht ungern über unsere gerade zu Ende gegangene Darbietung gesprochen, aber der Prinzipal war nicht abzulenken. Ich verstünde doch was vom Tennis, ich müsse doch bestätigen können, welch grundsätzliche Fehler dieser Idiot von einem Trainer in der Einstellung der Spielanlage des Sohnes gemacht hätte. Ob ich denn nicht auch seiner Meinung sei, zu einem Trainerwechsel wäre es allerhöchste Zeit.
Von Kunst war erst die Rede, als sich wieder eine Runde – offenbar routinemäßig – im Hause der Prinzipale versammelte. Das Haus war unverändert, auffallend lediglich zwei großformatige, aggressive abstrakte Bilder im Salon. Der Hausherr nannte auch gleich den Namen des
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