Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
erlitten hat, braucht Trost und Fürsorge, um das Erlebte zu verarbeiten.«
Saber schnaubte verächtlich und erhob sich. »Von mir aus kann sie sich selbst …«
In diesem Moment fuhr die Frau laut schreiend hoch, zog sich auf die Knie und begann, auf ihre Haut, ihre Haare und ihre Kleider einzuschlagen, wobei sie unaufhörlich hohe, schrille Laute ausstieß, die erst abebbten, als sie die Welt um sich herum wieder bewusst wahrzunehmen begann und begriff, dass sie sich nicht länger inmitten eines Flammeninfernos befand.
Ihr Atem stockte, als sie den Granitboden unter ihren
Knien spürte und die verglasten, mit Büchern vollgestopften Regale bemerkte, die sich an den steinernen Wänden entlangzogen. Dann wandte sie sich um. Beim Anblick des kaum eine Körperlänge von ihr entfernt stehenden Morganen schrie sie erneut auf, kroch von der unerwarteten, ihr viel zu nahen Erscheinung fort und kam mühsam auf die Füße.
Dabei taumelte sie gegen Saber. Er fing sie auf, um zu verhindern, dass sie beide das Gleichgewicht verloren. Sie brüllte etwas Unverständliches, wirbelte zu ihm herum, hämmerte mit den Fäusten auf ihn ein und tat dann etwas, was bewirkte, dass er so mühelos von den Füßen gerissen und über ihre Hüfte geworfen wurde, als wiege er weniger als ein Sack Mehl. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, landete er schmerzhaft rücklings auf dem harten Granit.
Ein anderer Laut mischte sich in das laute Gezeter der Frau. Morganen, dessen Schultern bebten und dessen Wangen hochrot loderten, war angesichts seines hilflos am Boden liegenden Bruders in schallendes Gelächter ausgebrochen. Saber spürte, wie ihm ebenfalls das Blut in die Wangen stieg. Er raffte sich auf und stapfte, ohne auf die Frau zu achten, auf seinen Bruder zu.
Ein lauter, scharfer Befehl hielt ihn jedoch davon ab, es Morganen büßen zu lassen, dass er seine unverhoffte Demütigung mit angesehen und sich auch noch darüber lustig gemacht hatte. Beide Männer fuhren herum. Die Frau zog ihre versengte Tunika herunter und überschüttete sie mit einem Schwall vollkommen unverständlicher Worte.
Saber warf seinem kleinen Bruder einen von einem verwirrten Stirnrunzeln begleiteten fragenden Blick zu. »Sie spricht kein Katanisch?«
Seufzend, mit noch immer belustigt zuckenden Mundwinkeln schüttelte Morganen den Kopf. »Und auch keine andere mir bekannte Sprache. Ich habe sie rein zufällig aufgestöbert, als ich per Fernsicht in weit entfernten Reichen
herumgestreift bin. Bei Jinga! Schnell, fang sie wieder ein!«
Saber drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um die Frau auf die Tür des Arbeitsraums zuschleichen zu sehen. Sie bemerkte, dass sie ertappt worden war, und stürmte in die unter ihnen gelegene Halle hinunter. »Ich soll sie wieder einfangen?«
»Beeil dich!«, donnerte Morganen. »Ich muss ihr einen Trank einflößen, der bewirkt, dass wir uns verständigen können, und dazu musst du sie festhalten!«
Saber stieß einen angewiderten Grunzlaut aus und setzte der Frau nach, dabei malte er sich aus, wie er sie im Verlies des alten Palastes, in dem sie hausten, in Ketten legte. Sein Blick fiel auf einen bloßen Fuß, der die Treppe am Ende der Halle hochhuschte. Er jagte ihr hinterher, sah sie auf dem Treppenabsatz einen Haken schlagen und folgte ihr innerlich frohlockend etwas langsamer. Sie hatte unwissentlich einen schweren Fehler gemacht.
Die Arbeitsräume der acht Brüder waren alle in den äußeren Türmen untergebracht – eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass einer der magisch begabten Zwillinge etwas tat, was größeren Schaden auslösen konnte. Die einzigen Türen, die aus den Türmen herausführten, waren die beiden, die auf die Außenmauer hinausgingen, die die Türme miteinander verband, und die verborgenen Pforten, hinter denen sich die unterirdischen Gänge erstreckten. Doch die Ebene, auf der sie sich gerade befanden, führte nur zu einem kleinen Gang, von dem aus man Zugang zu vier keilförmigen Lagerräumen hatte. Alle vier waren verschlossen, weil einige der Dinge, die Morganen herstellte, sogar für seine im Umgang mit Magie erfahrenen Brüder gefährlich werden konnten, wenn sie zufällig darauf stießen.
Saber sah zu, wie die Frau an den Klinken der dritten und vierten Tür am Ende des Ganges rüttelte und dann zu ihm
herumfuhr. Die aquamarinfarbenen, vor Panik geweiteten Augen wirkten in ihrem bleichen Gesicht unnatürlich groß. Sie stieß etwas in ihrer Muttersprache hervor, wahrscheinlich das
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