Die Söhne der Wölfin
vollziehen?« fragte Ilian tonlos.
»Seine Tochter. Die Sklavin, die angeblich einen Sohn von ihm hat, ist verschwunden. Vermutlich traut sie uns die gleiche Behandlung zu, wie er sie deinen Brüdern hat angedeihen lassen. Da bleibt wohl nur dieses törichte Wesen namens Antho. Es sei denn, du möchtest es tun.«
Sie weigerte sich, darauf einzugehen, schüttelte nur den Kopf und murmelte: »Arme Antho. Also hat er sie nicht ziehen lassen. Ich hatte gehofft, daß sie nicht mehr hier sein würde.«
»Wer ist Antho?«
»Ihre Base, Remus. Hast du den Geschichten unserer Mutter nicht aufmerksam genug zugehört? Ein gütiges Herz, das ihr seinerzeit weitergeholfen hat, als sie sich auf der Flucht aus ihrem Gefängnis befand. Jetzt ein gebrochenes Herz. Weißt du, du solltest dich um sie kümmern. Mich will sie aus verständlichen Gründen bestimmt nicht sehen.«
Wieder arbeitete sich in seinem Bruder eine wütende Entgegnung hoch. Er schaute von Ilian zu Romulus und faßte die Zügel des Pferdes, das er hinter sich herführte, fester. Da die Priester, die ihnen gefolgt waren, sie inzwischen eingeholt hatten, war es diesmal ausgerechnet die alte Streitaxt Fasti, die einen Ausbruch offenen Grolls verhinderte.
»Edler Remus«, sagte sie respektvoll, und Romulus war sich bewußt, daß sie seinem Zwilling, ohne zu zögern, den Titel eines Tusci-Adligen gab, während sie und die übrigen Priester eine Titulierung bei ihm selbst peinlich vermieden hatten, »gestatte mir, dich als den einzigen deines Hauses, der diesen Palast noch nie betreten hat, im Namen der Göttin Turan über seine Schwelle zu führen.«
Durch einen Seitenblick stellte Romulus fest, daß seine Mutter mit einer erschöpften Mischung aus Trauer und Erheiterung die Schultern zuckte, und bemühte sich, selbst ein zorniges Gesicht zu machen. Er wußte genau, was sie dachte. Sie nahm an, daß Fasti versuchte, sich erneut eine Machtposition bei einem von zwei königlichen Brüdern zu sichern, indem sie ihn gegen den anderen unterstützte. So unrecht hatte sie nicht, nur ging sie vom falschen Bruder aus, weil ihr etwas Entscheidendes unbekannt war. Für den Fall, daß Remus etwas schwerer von Begriff war, sagte Romulus laut: »An deiner Stelle würde ich vorsichtig sein, mit wem ich mich hier einlasse, Bruder.«
Das genügte, um Remus trotzig und mit geschürzter Unterlippe zu der Antwort zu verleiten, es sei ihm eine Ehre, mit der Hohepriesterin der Stadtgöttin in den Palast einzuziehen. Romulus machte sich kaum die Mühe, ihm nachzuschauen. Endlich, dachte er. Endlich .
Ilian glitt an seinem Arm durch die Höfe des Palastes, in dem sie geboren worden war, wie ein Geist. Sie berührte nichts und blieb nirgendwo lange genug stehen, um dem Ort eine Bedeutung zu geben, bis sie zu dem Empfangsraum kamen.
»Nein«, sagte sie. »Nicht hier.«
»Warum nicht? Er ist tot, Larentia. Und ich habe einiges für dich vorbereitet. Denk daran, dir gefallen meine Vorbereitungen.«
Es erwies sich, daß es sich bei dem Gericht, das Amulius und seinem Haushalt an diesem Abend bereitet worden wäre, um Thunfisch handelte, herrlichen Thunfisch, gesotten in Öl und versetzt mit Datteln, Honig, Wein und Wachteleiern. Nicht schlecht für jemanden, der vorgehabt hatte, um seinen Verwandten zu trauern, dachte Romulus, während er sich achtlos etwas davon in den Mund stopfte und Ilian dabei beobachtete, wie sie seine eigentliche Vorbereitung in Augenschein nahm. Nicht das Essen. Er hatte befohlen, daß ihm Geschmeide und ein Gewand, würdig einer Königin, hierhergebracht würden. Da er die verschwundene Sklavin nie zu Gesicht bekommen hatte und Antho fülliger als Ilian war, wußte er nicht, woher das grüne Kleid mit den Besätzen aus Purpur genau stammte, doch es genügte seinen Ansprüchen. Was den Schmuck anging, so fand er insgeheim, daß einiges von dem, was er bei den Kaufleuten erbeutet hatte, eindrucksvoller war, doch das spielte heute abend keine Rolle. Ilian stand vor der zweiten Liege, auf der man das Kleid und den Schmuck ausgebreitet hatte, und ließ den Stoff durch ihre Finger gleiten.
»Blumen für das Opfer?« fragte sie.
»Das dachte ich heute morgen auch, als du aufgetaucht bist. Nachdem du wieder verschwandest und nur deinen treuen Schatten zurückgelassen hast, war ich mir meiner Sache allerdings nicht mehr sicher. Komm schon, Larentia. Zieh es an. Ich möchte dich darin sehen, wenn du mir verrätst, wie genau du beabsichtigst, mich vom Thron
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