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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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»begrüßt ein Herrscher die Vertreter der Götter.«
    »Bin ich das?« fragte Romulus zurück. »Ein Herrscher?«
    »Du bist derjenige, durch den das Urteil der Götter vollstreckt wurde«, sagte die alte Frau mit einer Mischung aus Erschöpfung, Gereiztheit und Vorsicht. Er spürte, wie sich seine Mundwinkel verzogen.
    »Ja, aber bin ich der König?«
    »Nun«, meinte der dritte Hohepriester, der bisher noch nicht den Mund geöffnet hatte, behutsam, »du bist von königlichem Blut. Doch es gibt da gewisse Schwierigkeiten...«
    »Laßt mich raten. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, daß die Stadtwachen euch inzwischen von einer großen Schar Latiner berichtet haben, die vor den Stadttoren lagert. Wenn ihr mich anerkennt, so befürchtet ihr, lasse ich diese Latiner als Belohnung für ihre Unterstützung auf eure nicht mehr ganz so großen Reichtümer los. Schließlich bin ich selbst ein latinischer Barbar. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, daß die Schar von meinem Bruder Remus angeführt wird, der ebenfalls von königlichem Blut ist. Ist er nun mein Verbündeter oder mein Rivale? Und wäre er nicht der geeignetere König für euch? Immerhin hat er Amulius nicht vor aller Augen getötet, und das befreit ihn von einem ganz bestimmten Makel, den ihr nicht beim Namen nennen wollt. Außerdem werdet ihr zweifellos bald durch meine Mutter erfahren, daß Remus kein latinischer Barbar ist, sondern ein Mensch mit griechischer Erziehung und Achtung vor den Göttern. Und wo wir gerade von meiner Mutter sprechen, was ist mit ihr? Sie hat bewiesen, daß sie mit etwas Zeit und Geduld genügend Verbindungen knüpfen konnte, um einen König zu stürzen, aber dabei hat sie Alba auch herunterkommen lassen. Wird das Volk ihr das nicht übelnehmen? Und wenn nicht, worauf wird sie ihr Augenmerk wohl als nächstes richten? Auf eines von euren Ämtern?«
    Es war ergötzlich, zu beobachten, wie die drei während seiner Rede unbehaglich von einem Fuß auf den anderen traten, um schließlich in gekränkter Würde und sorgenvoller Erwartung zu versteinern. Er roch den Gestank der Furcht an ihnen, wie er ihn bei Ulsna nicht hatte wahrnehmen können. Er umgab sie so dicht wie eine schwarze Wolke. Romulus erhob sich von der Sitzliege, auf der er bisher geruht hatte, und ging zu der Frau.
    »Die Edle Fasti, nicht wahr?« fragte er spöttisch. »Was bist du bereit, darauf zu wetten, daß meine Mutter noch nicht fertig ist mit dir? Wie lange, glaubst du wohl, bleibst du Hohepriesterin, wenn es nach ihr geht?«
    »Was schlägst du vor?« fragte sie zurück, während der Glatzköpfige sich erneut räusperte.
    »Nun«, entgegnete Romulus, »wie es sich trifft, ist die von meinem Bruder angeführte Schar nicht die einzige, die noch vor Sonnenuntergang heute in Alba sein will.«

    Verglichen mit den Kriegern von Alba und ihren Helmen, Brustpanzern und Beinplatten, wirkten die Latiner mit ihren teils erbeuteten, teils aus dem Hirtenalltag stammenden Waffen wie ein Fleckenteppich neben einem sorgfältig gewebten Stofftuch. Doch, dachte Romulus, so ein Fleckenteppich hielt zusammen, während es genügte, einen einzigen Faden aus dem Tuch zu ziehen, um damit zu beginnen, das gesamten Gewebe aufzulösen. Was die Bewohner von Alba anging, die vor ihren Häusern standen, während er in Begleitung der Hohepriester und einiger Palastwachen zum Stadttor zog, um seinen Bruder zu begrüßen, wirkten sie wie aufgeschreckte Hasen, unsicher, in welche Richtung sie springen sollten, so wie sie ihm nachschauten und hinter vorgehaltener Hand flüsterten.
    Auf seinen Vorschlag hin war Remus ein Bote geschickt worden, mit ein paar Anweisungen, doch er wußte nicht, ob sein ungestümer Zwilling sich daran halten würde, bis er Remus, Scaurus und Lucius vor dem Stadttor sah, alle drei zu Pferde. Die vierte Person, die sich abseits von der weiter zurückbleibenden Schar hielt, schien zu Fuß gekommen zu sein. Romulus wandte sich absichtlich zuerst Remus zu, auf dessen Gesicht sich ein erleichtertes Grinsen ausbreitete, als er Romulus erblickte.
    »Bruder«, sagte Romulus gemessen. Remus sprang aus dem Sattel, lief zu ihm und faßte ihn an den Unterarmen.
    »Du hast es geschafft, du Schuft! Ganz ehrlich, ich wußte, daß du es schaffst, aber ich hatte doch Angst, daß die Tusci dich anschließend... nun ja, ist ja nicht geschehen, oder?«
    »Nein. Nein, man hat mich sehr zuvorkommend behandelt«, erwiderte Romulus, zog seinen Bruder etwas näher und fügte mit

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