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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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seiner Erinnerung auf ihn, und beschloß, Ulsna auf der Stelle den Kriegern des Amulius zum Fraß vorzuwerfen, wenn der Barde es wagen sollte, eine Bemerkung darüber zu machen oder, noch schlimmer, wieder mitleidig dreinzuschauen.
    »Wieviel, glaubst du, bist du ihr lebend wert, Ulsna?« fragte er herausfordernd, während Ulsna seinen Rücken schrubbte. »Ich weiß, daß sie noch irgend etwas vorhat, und ich bin mir sogar ziemlich sicher, was es sein wird, also muß ich meinen Geist durch ein unterhaltsameres Ratespiel beschäftigen. Wieviel bist du ihr wert? Nicht so viel wie ihr Leben, das springt gerade jetzt ins Auge, aber auch mehr als gar nichts. Sie hätte dich nicht all die Jahre mitgeschleppt, wenn du nicht nützlich wärst, und wie ich sehe, bist du zumindest ein guter Leibdiener. Was würde sie für dich aufgeben? Etwas Macht? Etwas Zeit? Etwas Freiheit? Ihren gerade von drei Hohepriestern für rein und unschuldig erklärten Körper?«
    Als Ulsnas Hände innehielten, kehrte die Befriedigung, den anderen verletzten zu können, zurück, doch sie schwand noch schneller als alles andere in seinem Leben. Ulsna beugte sich über seine Schulter hinweg vor und flüsterte direkt in sein Ohr hinein: »Wer sagt dir, daß sie es nicht schon getan hat?«
    »Was?« stammelte Romulus, merkte, daß er sich wie ein kleiner Junge anhörte, und schloß abrupt den Mund.
    »Was?« wiederholte Ulsna beißend, lehnte sich wieder zurück und fuhr mit der größten Selbstverständlichkeit fort mit dem Reinigen, während er weitersprach. »Romulus, du enttäuschst mich. Immer nur andeuten und höhnen, aber selbst nichts einstecken können? Wenn du so begierig auf die Einzelheiten der Beziehung zwischen deiner Mutter und mir bist, bitte. Es sind keine Umschreibungen mehr nötig. Du willst wissen, ob sie meinetwegen mit einem hochmütigen, übellaunigen Jungen das Lager teilen würde, der sich mit einem Gott verwechselt? Das hat sie bereits getan. Und weißt du, an wen sie dabei gedacht hat? Nicht an ihn.«
    Es war unerträglich. Der Wunsch, Ulsna umzubringen, löschte einen kurzen weißglühenden Moment lang das Gesicht des toten Amulius aus. Dann kehrte erneut der Einfall mit den Kriegern zurück. Doch Romulus rührte sich nicht. Nichts dergleichen würde er tun. Schon wieder hatte er Ulsna unterschätzt, und das mußte endlich ein Ende haben. Jetzt an Ulsna Rache zu üben wäre die Geste eines Kindes, das blind zurückschlägt, nicht die eines Mannes. Nein, Ulsna würde leiden, aber nicht auf so plumpe Weise. Er würde unheilbar leiden, wenn er den Leitstern zerstört sah, dem er folgte.
    Und so schwieg Romulus, bis er in das Gewand eines toten Mannes gehüllt wurde und man ihm mitteilte, daß die Hohepriester ihn zu sehen wünschten. Dann neigte er das Haupt auf die Art, wie er es sowohl seine Mutter als auch Amulius hatte tun sehen, und richtete das Wort erneut an den Barden.
    »Ich habe noch eine Aufgabe für dich, während ich mit den Dienern der Götter spreche. Suche die Tochter des Königs, Antho. Den Leichnam des Königs für die Verbrennung vorzubereiten ist wohl ihre Aufgabe, und sie sollte dabei nicht allein sein.«
    Damit überraschte er nicht nur Ulsna, der ihn stirnrunzelnd musterte, sondern auch die Diener, die bisher in seiner Gegenwart auf den Boden gestarrt hatten und nun mit Verwunderung und Achtung in den Augen aufschauten.
    »Was für ein... umsichtiger Befehl«, sagte Ulsna langsam.
    »Ich bin ein umsichtiger Mensch.«
    »Dann teile den Wachen hier im Palast bitte mit, daß ich weder deine Mutter bin... noch sonst eine Gefangene«, entgegnete Ulsna mißtrauisch. »Sonst werde ich vermutlich nicht weit kommen.«
    »Gewiß doch. Treuen Dienern sollte man ihre Dienste nicht erschweren.«
    Nachdem er seine Anweisungen erteilt hatte und Ulsna verschwunden war, ließ er die Hohepriester zu sich bitten. Es fiel ihm auf, daß sie alle drei in den Empfangsraum marschierten, als gehöre er ihnen, jedoch einen beträchtlichen Abstand von ihm selbst wahrten und ihn mit einer Mischung aus Grauen und Neugier betrachteten, wie ein wildes Tier, das in ihre gepflegte, sichere Welt eingebrochen war. Romulus begriff, daß sie alle Bescheid wußten, und seine Verachtung für sie kannte keine Grenzen. Da er nicht daran dachte, als erster zu sprechen, kehrte eine unbehagliche, bleischwere Stille ein, bis der glatzköpfige Mann sich räusperte.
    »Im allgemeinen«, sagte er mit einem unüberhörbaren Tadel in seiner Stimme,

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