Die Söhne der Wölfin
ihn durch ihre Priester in ihrer Mitte begrüßen, dann würde sich die Zahl seiner Verehrer unter den Rasna binnen einer Generation nicht nur verdoppeln, nicht nur verdreifachen, nein, sie würde so rasend schnell anwachsen, daß dort draußen ein neues Haus mit unseren Dankesgaben gebaut werden müßte.«
Ulsna zwang sich, den Dreifuß zu betrachten, der in der Ecke des kleinen Raumes stand, in dem sie sich befanden, und der trotz der Hitze mit qualmender Holzkohle gefüllt war. Sein Puls ging schneller, denn er glaubte, endlich zu verstehen, was Ilian im Sinn hatte. Aber der Gedanke, mit dem Glauben an die Götter Handel zu treiben, erschien ihm so blasphemisch, daß er sich fragte, ob dieser rotgewandete Priester sie jetzt hinauswerfen würde.
»Hm. In der Tat, dergleichen gefiele dem Gott. Aber nun, da du den Gedanken einmal ausgesprochen hast, was braucht er dich weiter? Einem seiner Priester, einmal ausgeschickt, fiele es gewiß nicht schwer, das Gehör eines Königs zu erringen. Schließlich stehen, wenn ich mich recht erinnere, sogar zwölf zur Auswahl.«
Ilians Stimme blieb gelassen. »Ich bin auserwählt.«
»Aber nicht von Apollon, oder willst du etwa behaupten, er« - Papyrus knisterte, und Ulsna nahm an, daß Ilians Gegenüber einmal mehr ihre Botschaft befingerte - »sei der Vater deines Kindes?«
»Nein. Nicht Apollon. Und eben weil es nicht Apollon war, wird niemand behaupten können, daß mich anderes als reine Verehrung treibt, wenn ich ihm eine Heimat im Land meiner Väter gebe. Genauso«, sie holte rasch Atem, ein erstes Zeichen der Unruhe, die Ulsna schon vorher an ihr beobachtet hatte, »wie niemand behaupten kann, das Orakel des Gottes habe niedere Gründe, wenn es meine Unschuld verkündet. Gewiß, einer eurer Priester könnte möglicherweise die Gunst eines Königs erringen. Aber keinem dieser Könige ist geschehen, was mir geschehen ist, das, wovon man in den zwölf Städten jetzt schon so viel spricht, daß sogar die Kinder davon gehört haben.«
Den Blick weiterhin starr auf die rotglühende Asche im Dreifuß gerichtet, gelang es Ulsna, der sich unwillkürlich verschluckt hatte, nicht zu husten. Dafür räusperte sich der Rotgewandete, den der andere Priester vorhin als »edler Iolaos« angesprochen hatte.
»Erkläre mir das noch ein wenig genauer. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob du wahnsinnig oder begnadet bist. Nebenbei bemerkt, keines von beiden ist eine sichere Grundlage für die Zukunft, auf die der Gott sich verlassen könnte.«
»Laß mich dir eine Gegenfrage stellen. Die Geschicke einer Stadt sind vom Unglück verfolgt. Ihre Priester befragen die Götter und verkünden, das alte Opfer müsse gebracht werden, das Königsopfer. Der König für die Stadt. Doch der König weigert sich. Er wird gewaltsam entthront, doch nicht getötet, weil er immer noch nicht bereit ist, das Opfer zu bringen, und es nicht erzwungen werden darf. Der Mann, der ihn vom Thron stößt, ist sein Bruder. Er kann nicht für die Stadt sterben, denn er ist mit der Aufgabe betraut, ihre Geschicke wieder zum Guten zu wenden. Aber er ist auch nicht der rechtmäßige König, denn er handelte gegen sein Blut, nahm sich den Thron mit Gewalt, und so hängen noch immer Unglück und Fluch über der Stadt. Nun sage mir, o Arm des großen Apollon, wie versöhnt man unter solchen Umständen die Götter und macht den Anspruch des neuen Königs rechtmäßig, auf daß die Stadt gedeihe, ohne das Blut des alten Königs zu vergießen?«
»Der neue König muß sich mit der Stadt vermählen«, murmelte Iolaos nach einem kurzen Schweigen. »So wie es früher geschah. Die heilige Ehe. Der Gott mit der Göttin, das neue Blut mit dem alten. Aber seit meiner frühen Jugend habe ich nicht mehr gehört, daß irgend jemand die heilige Ehe vollzogen hätte.«
Ilian entgegnete nichts. Diesmal zog sich das Schweigen sehr lange hin, und Ulsna konnte sein Herz hämmern hören. Endlich war er in der Lage, die verschiedenen Bruchstücke der Geschichte zusammenzusetzen. Endlich ergaben all ihre gelegentlichen Äußerungen einen Sinn. Aber warum hatte sie bis zu diesem Augenblick gewartet und vertraute sich jetzt einem Fremden an? Einen Herzschlag später meldete sich bei ihm ein häßlicher Zweifel. Vielleicht sprach sie nicht die Wahrheit, vielleicht war auch dies nur eine List, um etwas für sich herauszuschlagen. Vielleicht war Ilian einfach ein Mädchen, das einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte und seither die
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