Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
Blick auf die LED-Anzeige seiner Armanduhr. Gleich zwölf. Ob sie einen anderen Mann kennengelernt hatte? Sein Auge zuckte bei dem Gedanken, dass Maryn mit jemand anderem zusammen war. Dann schüttelte er den Kopf. Unmöglich. Vor Stunden hatte er gesehen, wie der rote Van mit vier Frauen fortfuhr. Ein Mädchenabend. Völlig harmlos.
Nicht dass es einen Unterschied gemacht hätte. Er klopfte auf die Laptoptasche auf dem Boden, die sich vor Bargeld wölbte. Er hatte sie ohne langes Suchen im obersten Fach des Kleiderschranks gefunden. Sein Geld. Er hatte es verdient, es war für ihn bestimmt, und er würde es bekommen, sobald er mit Maryn fertig war. Er hatte genug Zeit gehabt, das Geld zu zählen, hatte die Scheine auf Stapel verteilt, die das ganze Bett bedeckten. Es war noch alles da, bis auf hundert Dollar. Er wunderte sich, dass Maryn nichts ausgegeben hatte, dass sie nicht außer Landes geflohen war, als sie erkannte, was sie mitgenommen hatte. Maryn war ihm nie besonders edelmütig erschienen. Sie war schonungslos realistisch, genauso wie er. Weshalb er sich zu ihr hingezogen gefühlt hatte.
Er beobachtete das Spiel der Lichter an der gegenüberliegenden Wand des dunklen Zimmers und stand auf, um aus dem Fenster zu schauen. In flottem Tempo kam der rote Van die Auffahrt hinaufgefahren. Erst kurz vor der Veranda blieb er stehen. Der Motor wurde ausgestellt, und eine kleine Rothaarige sprang vom Fahrersitz auf die Veranda zu. Kurz darauf öffneten sich die hinteren Türen, und er sah mit schneller werdendem Puls, wie Maryn ausstieg, sich streckte und etwas zu der schlanken Blondine sagte, die den Wagen auf der anderen Seite verließ. Die beiden anderen stiegen auch aus, schauten hoch zum Haus, und er machte schnell einen Schritt zurück, obwohl er wusste, dass sie ihn auf keinen Fall hier oben im Dunkeln sehen konnten. Trotzdem …
Er tappte leise zur Tür und öffnete sie gerade so weit, dass er hören konnte, wie die Eingangstür unten aufgeschlossen wurde. Licht ging an, Stimmen ertönten. Diesmal war er sicher, Maryn und eine andere Frau verschwörerisch kichern zu hören. Er drückte die Tür wieder zu und ging direkt daneben in Position.
Minuten vergingen. Schritte kamen die Treppe hinauf. »Nacht, Mädels«, rief eine unbekannte Frauenstimme fröhlich. Im ersten Stock verstummten die Schritte, und er hörte, wie eine Tür geschlossen wurde, wie das Wasser lief und dann die Toilettenspülung betätigt wurde. Schließlich ging die Badezimmertür wieder auf und kurz darauf eine andere Tür zu.
Er wartete weiter, gegen die Wand gelehnt, lauschte seinem eigenen, gleichmäßigen Atem. Er hörte neue Schritte auf der Treppe und erstarrte. Seine Hände waren nass vor Schweiß. Er trocknete sie an der Jeans ab, stand auf, bewegte sich auf die Tür zu, die Hand an der Pistole in seinem Hosenbund. Die Schritte hielten auf dem Treppenabsatz im ersten Stock inne. Vielleicht war es eine der anderen Frauen, eine Mitbewohnerin von Maryn? Doch dann stieg sie weiter die Treppe hoch in die zweite Etage.
Es musste Vorsehung sein, dass sie sich dieses Zimmer ausgesucht hatte, abgelegen im obersten Stockwerk des Hauses. Aber eigentlich keine Überraschung. Maryn vertraute niemandem, schon gar nicht anderen Frauen. Überraschend war, dass sie überhaupt bei diesen Fremden eingezogen war. Egal aus welchem Grund; wichtig war nur, dass das Zimmer seine Erfordernisse perfekt erfüllte.
Die Schritte kamen näher. Sie summte. Was war das? Er hatte sie noch nie summen gehört, schon gar nicht singen. War sie betrunken oder bekifft? Vor der Tür blieb sie stehen. Er hielt den Atem an, als sie den Schlüssel ins Schloss schob.
Langsam öffnete sich die Tür. Maryn summte immer noch. Sie trat ein, ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter.
Er wartete, bis das Licht anging, dann sprang er auf sie zu, legte ihr den Unterarm über die Kehle, zog sie ins Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich.
Sie riss die Augen vor Entsetzen weit auf, und bevor sie schreien konnte, hielt er ihr den Mund zu. »Willkommen daheim«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Ellis holte eine Taschenlampe unter der Küchenspüle hervor und eilte zum Holzsteg über die Dünen. Wie um alles in der Welt, fragte sie sich, hatte sie es geschafft, Telefon und Schlüssel am Strand zu vergessen? Sie hätte schwören können, dass beide in ihrer Strandtasche gelegen hatten, als sie wieder im Haus war, doch an diesem Tag war so viel los gewesen, dass sie es sich auch
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