Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
Konto genau 2 357 Dollar, und das Unternehmen, für das ich arbeite – falls man es so nennen kann –, existiert in jener wirtschaftlichen Grauzone, die von Geldwäschern und religiösen Sekten ausgefüllt wird.
Jedenfalls bin ich der Meinung, dass Neel ruhig ein bisschen was für ein altes Taschenbuch springen lassen kann, selbst wenn er heutzutage eigentlich nicht mehr zum Lesen kommt. Während ich in den dunklen Schubladen des Schreibtischs nach Wechselgeld krame, wendet er seine Aufmerksamkeit endlich den Regalen im Halbdunkeln der hinteren Hälfte der Buchhandlung zu.
»Was ist denn das da?«, sagt er. Er weiß nicht, ob er wirk lich interessiert ist. In der Regel zieht Neel das Neue und Glitz ernde dem Alten und Angestaubten vor.
»Das«, sage ich, »ist der eigentliche Laden.«
Mats Intervention hat mich etwas mutiger werden lassen, was die Ladenhüter betrifft.
»Und wenn ich dir nun erzählen würde«, sage ich und führe Neel zu den hohen Regalen, »dass diese Buchhandlung von einer Gruppe seltsamer Gelehrter frequentiert wird?«
»Hammer«, sagt Neel und nickt. Er wittert Warlocks.
»Und wenn ich dir außerdem erzählen würde« – ich greife mir aus einem unteren Regalbrett ein Buch mit schwarzem Einband heraus – »dass jedes dieser Bücher in einem Code geschrieben ist?« Ich schlage es auf und zeige ihm ein Spielfeld aus durcheinandergewürfelten Buch staben.
»Der Wahnsinn«, sagt Neel. Er fährt mit dem Finger die Seite hinunter, über ein Labyrinth aus Serifen. »Ich hab da einen Knaben aus Weißrussland, der Codes knackt. Kopierschutz, solche Sachen.«
Dieser Satz bringt auf den Punkt, was Neels Leben seit der Mittelschule von meinem unterscheidet: Neel hat Knaben – Knaben, die Dinge für ihn erledigen. Ich habe keine Knaben. Ich habe gerade mal einen Laptop.
»Ich könnte ihn bitten, einen Blick draufzuwerfen«, fährt Neel fort.
»Naja, ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es ein Code ist«, gestehe ich. Ich klappe das Buch zu und schiebe es zurück ins Regal. »Und selbst wenn, bin ich mir nicht sicher, ob er es überhaupt wert ist, dass man ihn knackt. Die Typen, die diese Bücher ausleihen, sind ziemlich schräg.«
»So fängt’s doch immer an!«, sagt Neel und haut mir auf die Schulter. »Denk an die Drachenlied-Chroniken . Begegnet man Telemach dem Halbblut gleich auf der ersten Seite? Nee, Alter. Man begegnet Fernwen.«
Die Hauptfigur in den Drachenlied-Chroniken ist Fernwen, der gelehrte Zwerg, der selbst für zwergische Maßstäbe klein ist. Er wurde in jungen Jahren aus seinem Krie ger-Clan verstoßen und – jedenfalls, naja, vielleicht hat Neel recht.
»Wir müssen dahinterkommen«, sagt er. »Wie viel?«
Ich erkläre ihm, wie das Ganze funktioniert, dass die Mitglieder alle Ausweise haben – aber jetzt ist es mehr als nur Geplänkel. Wie viel auch eine Mitgliedschaft in Penumbras Leihbücherei kosten mag, Neel kann sie bezahlen.
»Krieg raus, was es kostet«, sagt Neel. »Du hockst hier auf einem Rockets-&-Warlocks-Szenario, da wett ich.« Er grinst. Er wechselt in seine tiefe Kerkermeisterstimme: »Du darfst jetzt nicht kneifen, Claymore Redhands.«
Oje. Er hat meinen Rockets-&-Warlocks-Namen gegen mich eingesetzt. Es ist ein Bannspruch mit vorzeitlichen Kräften. Ich gebe mich geschlagen. Ich werde Penumbra fragen.
Wir begeben uns wieder zu den kleinen Regalen mit den glänzenden Einbänden. Neel blättert ein anderes altes Lieblingsbuch von uns durch, eine Geschichte über ein riesiges zylindrisches Raumschiff, das langsam auf die Erde zusteuert. Ich erzähle ihm von Mats Absicht, Ashley den Hof zu machen. Dann frage ich ihn, wie seine Firma läuft. Er öffnet den Reißverschluss seines Track-Jackets und zeigt stolz auf das metallicgraue T-Shirt darunter.
»Die haben wir gemacht«, sagt er, »haben einen 3-D- Bodyscanner gemietet und jedes Shirt maßgefertigt. Sie passen perfekt. Ich meine, echt perfekt.«
Neel ist unglaublich fit. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, muss ich seine Erscheinung unwillkürlich mit meiner Erinnerung an den pummeligen Sechstklässler überblenden, weil er inzwischen irgendwie die groteske V-förmige Figur eines Comic-Superhelden angenommen hat.
»Ist ’ne gute Markenpräsenz, weißt du?«, sagt er.
Auf dem schnuckeligen T-Shirt prangt quer über der Brust das Logo von Neels Firma. In großen blauen Leuchtbuch staben steht da: A NATOMIX .
Als Penumbra am Morgen eintrifft, spreche ich ihn darauf an, dass ein Freund von
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