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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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Ausstrahlung, wenn es darauf ankommt, vervielfachen. Andere haben, bewußt oder unbewußt, gelernt zu implodieren, sich so zusammenzuziehen, daß sie unbemerkbar sind. Die Kindsmörderin hat diese Eigenschaft für sich ausgenutzt, oder sie hat, wer will das sagen, darunter gelitten.
    Mir fehlt die Kraft, den Blick zu heben, dorthin, wo ihr Gesicht wäre. Was würde man dort sehen? Sie hat ihr Neugeborenes im Eisschrank tiefgefroren, ich weiß, ihr Gesicht ist glatt, als wäre nichts geschehen.
    Ich halte mich am Treppengeländer fest und zwinge mich, sie anzusprechen. Ich wünsche ihr mit lauter Stimme einen guten Morgen, sie zuckt zusammen, enthüllt eine senfgelbe Bluse, einen felsgrauen Rock, fleischfarbene Perlonstrümpfe, sie wendet sich zu mir um, ihre Augen stehen vor, wie bei einer Flunder, die sich mit winzigen Flossenbewegungen in den Sand eingegraben hat, die sich nicht durch die geringste Regung, nur durch die Elektrizität, die von ihr ausgeht, verrät.

25 Irrgärten
    Ich saß in der unruhigen Luft vor dem Parkplatz der Raststätte und wartete auf ihn. Odilo war mir im Wald aus den Augen gekommen, wir hatten uns verloren, und nach einer ganzen Weile des Rufens und Suchens war ich zum Parkplatz zurückgekehrt. Das Lärmen im Wald hatte der Jagdaktion sofort jegliche Unauffälligkeit genommen: sinnlos, an diesem Tag weitere Bemühungen anzustrengen. Ohnehin hielt ich den Tag nicht für ideal, im Grunde hielt ich ihn für ungeeignet, ein Spätsommertag, klar und warm, aber Odilo hatte auf dem Ausflug bestanden, er wollte nicht vom Wetter abhängig sein.
    Der weiße Plastikstuhl, auf dem ich mich niedergelassen hatte, ratschte unangenehm über den Vorplatz der Imbißstube, er knarrte bedrohlich, sobald ich mich bewegte, ich bewegte mich also nicht. Nur die Arme wagte ich zu rühren; ich zersäbelte, stocksteif bis zum Hals, einen von drei Reibekuchen in millimeterkleine Schnitzel. Trennwände aus Bastmatten schotteten die Gastronomiefläche seitlich ab. Zum Parkplatz hin beschränkte lediglich ein Rundholzriegel auf Kniehöhe den Durchgang. Ich trank eine bittere Limonade und atmete ungesunden Tankstellengeruch. Tiefflieger donnerten über den Wald und zerschnitten das heuchlerische Blau des Himmels, ein Blau, das federnd auf dem warmen Asphalt auflag, sich mit den Düften von Harz und Benzin vermischte. Sie donnerten über den Wald, dessen Eingang hinter der Tankstelle lag, ein stinkender Trampelpfad, von zerknüllten Papiertaschentüchern gesäumt.
    Warum auch hatten wir ausgerechnet hier starten müssen. Streßdurchzitterte Auffahrten. Neuankömmlinge warfen rücksichtslos Wagentüren zu. Lastwagenfahrer schwangen sich in ihre hochgelegene Kabine, auf den wippenden Straßenthron. Sie zogen königlich Schlieren über den Parkplatz und setzten ihre elefantösen Wege fort.
    Ich kaute mechanisch auf winzigen Kartoffel- und Zwiebelstückchen, kaute daran schon seit geraumer Zeit, als mich von hinten die Bedienung ansprach. Ob mit dem Essen etwas nicht in Ordnung sei. Es mir nicht schmecke.
    Ich versicherte ihr, das Essen sei tadellos. Ob sie zufällig meinen Freund gesehen habe. Ich beschrieb ihr Odilo, hilflos, wie man jemanden beschreibt, der keine besonderen Merkmale aufweist und auf dessen Kleiderwahl an diesem Tag man nicht geachtet hat.
    Was hatte er an? – Er hatte halt irgend etwas an. Eine Hose. Eine leichte Jacke. – Das treffe praktisch auf jeden ihrer Gäste zu. Jeder Gast an diesem Tag komme in Hose und leichter Jacke herangerauscht, schlinge etwas in sich hinein und steige wieder ins Auto. – Ich betonte, daß es genau um diesen Punkt gehe. Mein Freund sei ohne Auto hier. Er sei mit mir mitgefahren. Und ich nähme ihn auch wieder mit zurück.
    Demonstrativ klimperte ich mit meinem Schlüssel. Die Dame versicherte mir, mein Freund sei nicht hier gewesen.
    Essen Sie das noch?
    Ja, sagte ich. Meine Stimme klang bärbeißig.
    Ich ließ den Teller stehen und lief über den Platz zurück in den Wald. Nach ein paar Metern hatte ich die Taschentuchhäufchen hinter mir gelassen. Ich ging bis zur großen Wegkreuzung vor und setzte dort, obgleich es nicht kalt war, meine Kapuze auf. Trockene Tannennadeln rieselten mir in den Nacken, ich setzte die Kapuze wieder ab und versuchte, Kopf zum Weg gesenkt, die Nadeln aus dem Hemd zu schütteln.
    Der eine Weg führte ins Tal, der andere zu einem Wanderparkplatz. Ich schlug den Weg zum Wanderparkplatz ein, sah aber schon von weitem, daß dort ein Bauwagen

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