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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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stand. Dürftigkeit dieses Bauwagens. Die Kanten mit rotweißem Warnanstrich versehen, hinter halbgeschlossenen Fensterläden eine Gardine, der Schornstein ein langstieliger Pilz, der aus den mausgrau gestrichenen Brettern wuchs. Mobiles Zimmer, in dem, wie es hieß, blutjunge Prostituierte gewöhnlich die Freier empfingen.
    Hier zeigte sich wieder das Dichtbesiedelte des Rheinlands. Kein Punkt, an dem nicht ununterbrochen Wandergruppen, Außendienstmitarbeiter, Warentransporte querten, kein Punkt, an dem man mit sich und dem Wald allein sein konnte, an dem nicht fortwährend Leute Gebiete besetzten, an dem die sogenannte Waldeinsamkeit auch nur in Ansätzen vorhanden gewesen wäre.
    Ich gab die Suche auf, ich kehrte um.
    Sorgen. Leere. Luftflimmern. Ein warmer Abend, wie aus der Zeit gefallen.
    Abendrot brach durch den Wald. Rotdornrot, ein verfliegendes, unwirkliches Rot vermischte sich mit dem Weißdornweiß des Tageslichts. Der Tag schwand. Odilo nicht aufzufinden. Ich dachte an ihn aus weiter Ferne, wie wenn man sich an einen Traum erinnert, zu erinnern sucht, von dem nur noch ein Gefühlsrest, kein Bild mehr da ist. Odilo ein blinder Fleck, eine Unschärfe in meinem Leben.
    Was wollte ich von ihm?
    Er verhielt sich nicht wie ein Freund. Er war nicht verläßlich. Und, gewissermaßen, nicht handhabbar.
    Odilo war der ortloseste Mensch, den ich kannte. Eigentlich wußte niemand, was er den ganzen Tag tat. Seine Mutter konnte gelegentlich bestätigen, daß er sich in seinem Arbeitszimmer aufhielt. Ich rief an: Ja, hieß es, er sei zu Hause, er arbeite, er sei nicht zu sprechen. Nein, hieß es, er sei im Labor. Nein, hieß es, er sei verreist, da und da, sie wisse nicht genau, wann er zurückkehre, eigentlich auch nicht genau, wo er hatte hinfahren wollen, ein Vortrag, ein Symposion, eine Konferenz, er sei erwachsen, schulde ihr keine Rechenschaft.
    Ein Mensch des alten Jahrhunderts, spießig, ordentlich, diszipliniert. Morgens saß er vor Sonnenaufgang am Schreibtisch, er benutzte ausgewählte Bleistifte und Füllfedern, obgleich seine Arbeit ihn mit modernster Computertechnologie konfrontierte, er hing an altmodischen Gepflogenheiten wie dem Fünfuhrtee, er verabscheute das Fernsehen und die kommunistische Partei. Ein Mensch des alten Jahrhunderts, dem dieses Jahrhundert wegbrach.
    Er pflegte ein Leben in Zurückgezogenheit. Er machte sich rar. Wenn man ihn traf, vermauerte er sich in ein Gedankensystem, an dem man keinen Anteil hatte. Wenn man ihn traf, befand er sich in Gedanken anderswo. Eigentlich wußte man nie, wo er wirklich war.
    Es wurde schon dunkel. Gleichgültige Rücklichter. Das Meer aus Lack und Chrom. Darin die Lichtwellen. Spiegelungen. Der Widerschein, in Kurven geführt.
    Noch einmal auf diesen Parkplatz geschmuggelt der lange Atem ländlicher Sommerabende, wenn die Wetterlage eine Amphitheater-Akustik hervorbringt, als kämen die Geräusche, das Zwitschern und Zirpen, aus weiter Ferne und doch aus dem eigenen Innern. Ich irrte zwischen den tabernakelhaft verschlossenen Wagen umher, zwischen den Blenderbergen aus Alaskablau und Balticblau, aus Baikal metallic und Persischblau, Pasadenablau, Labradorblau, glitt durch Polarweiß und Polizeiweiß und Candyweiß, Alpinweiß und Firnweiß, durch ernste Tönungen von Nachtschwarz, Traumschwarz,Cosmosschwarz. Diamantschwarz. Lackierungen in Lachssilber, Rauchsilber, Nepalsilber; Titansilber oder Tizianrot, oder Postrot und Imperialrot, die eleganten Nuancen von Perlgrau und Atlasgrau, Ascotgrau, Wolframgrau. Fahrzeuge in Stratusgrau bedeckten als tiefe Bewölkung die Fläche, sie erinnerten, Memoryrot, an das wissende Ich, sie bedienten, Manilagrün, eine Sehnsucht nach Flucht.
    Ich irrte durch ihre luxuriöse Größe und Farbstrahlung, ihre geheimnislose, alles verdeckende Gleichförmigkeit, irrte durch ihre abstoßende, penetrante Schönheit.
    Ich interessierte mich nicht für Automobile. Ihre Heckspoiler und Spitzkühler, ihre Leistung, ihre Geschwindigkeit ließen mich gleichgültig. Ich interessierte mich ein wenig für ihre Lichtkanten und Abrißkanten, für die Charakterlinie, die das Fahrzeug modelliert, für die Dachlinie, die es in seiner Höhe, und die Gürtellinie, die es in seiner Bodenhaftung definiert, ich verfolgte gerne die Fensteröffnungslinie, an der der Materialwechsel von Blech zu Glas erfolgt, und die Kammlinie, die Wannenlinie, die Stromlinie. Ich mochte die Bombierung, die Wölbung, mit der sich ein Blech über das Nichts

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