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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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Tausende winziger Punkte. Im leichten Niederschlag, im unsteten Licht trat die angenehme Rundheit der Kanaldeckel zutage, satt lagen sie vor uns, schlürfend, schimmernd. Der Bürgersteig, sonst stumpf und staubig, schien jetzt nachgiebig und aufgequollen, wie eine Gummimatte.
    Das Licht spielte eine große Rolle. Bereits bei bedecktem Wetter erfuhr eine ganz normale Straße eine berückende Veränderung hin zu größerer Weichheit. Das Tageslicht, durch Wolken gesiebt, fiel pudrig über sie hin. Alles verlief gedämpfter, gab sich bescheidener gegenüber dem Besserwisserischen sonnenbeschienener Dinge, ihrer fraglosen Existenz, ihrer Anspruchshaltung.
    Jetzt ließ der Nieselregen die Bordsteinkanten verschwimmen, die Betonwürfel vor einem Fußweg, die niedrigen Vorgartenmauern schienen porös zu werden, als dringe unentwegt Feuchtigkeit in sie ein, als öffneten sie sich unmerklich immer weiter, bis sie sich aufgelöst haben würden. Sie standen uns, erklärte ich Odilo, nunmehr nicht starr gegenüber, sondern sie verhielten sich, als begönnen sie uns aufzunehmen in ihre Geheimnisse, ihre Verschwiegenheiten, in die unbändige Macht der Landschaft.
    Dies, erörterte ich Odilo, seien die Bedingungen, auf die es ankomme; unter solchen Bedingungen richte man die Aufmerksamkeit nicht mehr auf das Vordergründige, vielmehr lerne man, auf eine hintergründige Weise zu sehen.
    Alberich, dem Elfenkönig, oblag es, den Hort der Nibelungen zu bewachen. Er ging zu diesem Behuf in einen Mantel gekleidet, der ihn unsichtbar machte: eine Pelerine, die das Licht sozurückwarf, als sei da nichts. Die modernen Erlkönige werden von ihren Firmen getarnt. Die Hersteller testen sie unter extremen Bedingungen, um alle Bestandteile einer Belastungsprobe auszusetzen. Man mietet Rennstrecken oder andere Gelände an, die hohe Geschwindigkeiten zulassen und dem Fahrer ausreichend Herausforderung bieten. Die Prototypen, die in dieser Phase das Werk verlassen, sollen vor den Augen der potentiellen Käufer geheim bleiben, damit sich das Interesse nicht vorzeitig vom Vorläufermodell abwendet. Dies aber geschieht unausweichlich, das Interesse von Käufer und Presse richtet sich sogleich auf das Neue, Unbekannte, und die Modelle, die sich auf öffentlichen Straßen zeigen, werden verhüllt. Man benutzt keine Tarnmuster im eigentlichen Sinne, man strebt nicht an, sie optisch völlig zum Verschwinden zu bringen, man bemüht sich nur, ihr wahres Aussehen zu verschleiern. An den entscheidenden Stellen sind die Prototypen mit auffälligem Material beklebt, das die Erscheinung bedeutend verändert. Dunkle Folie trägt dazu bei, Proportionen unkenntlich zu machen, psychedelische Muster und Karos lösen die Umrißlinien auf. Sie verwirren den Betrachter, weil er nicht weiß, was er fixieren soll, das Objekt tritt ihm so stark entgegen, daß er unwillkürlich zurückweicht, es simuliert eine Bewegtheit, die einen bedrohlichen Unterton besitzt, die ihn in ihrer betonten, ja übertriebenen Sichtbarkeit anzugreifen scheint.
    Flecktarnmuster funktionieren entgegengesetzt, sie zerstreuen den Gegenstand auf eine Weise in der Umgebung, daß seine Anwesenheit nicht bemerkt werden kann. Das Problem besteht bei klassischem Fleckmuster darin, daß die Umgebung eines beweglichen Körpers nicht konstant bleibt, daß die Tarnung nur auf eine bestimmte Stelle paßt, etwa Potato Pattern , Kartoffeltarn, auf ein Kartoffelfeld, Flower Camo , Blumencamouflage, auf eine wilde Alpenwiese, Eichentarnung in ein entsprechendes Waldstück, ein Waldstück, das sich zu verselbständigen scheint, sobald der Jäger es verläßt und seinerseits als wandelnder Eichenbaum, Äste und Zweige auf die Jacke gedruckt, den Weg bis zum abgestellten Fahrzeug in Waldrandnähe zu überbrücken sucht.
    Während meiner Studienzeit ist es mir einmal gelungen, mit einer Prototypaufnahme echtes Geld zu verdienen. Es war ein Glückstreffer, ich fuhr von Köln nach Aachen, kam irgendwo auf freier Strecke an eine Kreuzung, flache Landschaft, Stoppelfelder zu allen Seiten, als sich der Wagen näherte, auffällig gestaltet mit schwarzweißen Kringeln, die sich vergrößerten, wie Seifenblasen schillerten, rotierten und verpufften und aus dem Nichts neu ausdehnten. Meine Kamera lag auf dem Beifahrersitz, als das Gefährt an der Kreuzung einbog, von rechts an mir vorüberglitt, sonst niemand außer uns. Ich knipste durchs offene Fahrerfenster, ich dachte nicht nach.
    Nie wieder ist mir ein Erlkönig

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