Die Sonnenposition (German Edition)
leider habe ich mir auf diese Frage keine passende Antwort zurechtgelegt. Wie ist eine Beerdigung? Ich sage vorsichtig, die Beerdigung sei gewesen, wie Beerdigungen eben so seien. Ich seufze bedeutungsvoll, so daß Frau Dr. Z. sowohl tiefe Trauer als auch angemessene Gefaßtheit, Mitgefühl und Abgeklärtheit herauszuhören vermag. Ich bin jemand, dem nichts Menschliches fremd ist, jemand, der auf Schicksalsschläge nicht mit Verzweiflung und nicht mit Verhärtung reagiert, sondern in der Lage ist, sich seine Würde zu bewahren und ein differenziertes Spektrum an Empfindungen spielen zu lassen. Wie Beerdigungen eben so seien, sage ich weltläufig, und ich füge hinzu, diese Beerdigung sei sehr pompös gewesen, im Vergleich sehr pompös, sage ich, als hätte ich Vergleichsgrößen vorliegen, als vergliche ich Woche um Woche eine Beerdigung mit der anderen, vergleichsweise pompös, sage ich, und Frau Dr. Z. nickt befriedigt und sieht ihr Vorurteil bestätigt, daß wir im Westen eben zu sehr auf Äußerlichkeiten bedacht sind, übertriebener Blumenschmuck, Sarg aus tropischen Edelhölzern, selbst der Tod noch Ware, sie sieht ihre Auffassung bestätigt, daß uns im Westen eine gewisse aufgeklärte Härte fehlt, welche allein eineauthentische Konfrontation mit den Realitäten des Alltags ermöglicht. Da ich aber schon für Pompösität ein Bewußtsein zu entwickeln im Begriffe bin, hofft sie im stillen, daß sie mich noch hinbiegen, mich noch zu einem Menschen machen kann. Im Vergleich sehr pompös, sage ich also, und Frau Dr. Z. nickt wissend und mitleidig und weist mir den Stuhl an, auf den ich mich setzen soll. Ich öffne meine Mappe und nehme die Papiere heraus. Wir beginnen.
7 Methoden der Jagd
Wenn die dünne Schneeschicht höherer Lagen gerade wieder schmilzt, der Nieselregen die Straßen in ein Matschparadies verwandelt, die Tage am kürzesten sind, muß der Zeitpunkt als ideal gelten. Nacht und Nebel. Die ideale Witterung für Erlkönige, deren Aktivitäten zum Weihnachtstauwetter ihr Jahreshoch erreichen, da sie dann sowohl besonders unauffällig bleiben, als auch auf einen gewissen Prüfstand gestellt werden können: Schlechte Sicht, Bodennässe, glatte Fahrbahn, diese Art von Voraussetzungen lassen sich mit künstlichen Mitteln kaum herstellen.
Es war der optimale Tag, wie er nur in der dunkelsten Zeit des Jahres zu erwarten ist, wenn sich die Energie auf dem Tiefpunkt befindet, die Stadtbewohner schon im Vorweihnachtsstreß, die Landbewohner vor dem Fernseher verkrochen, die Bevölkerung also blind für alles, was in ihrer nächsten Umgebung vorgeht.
Nebel werden. Selbstvernebelung. Tarnkleidung je nach Wetterlage. Aber auf die Kleidung kommt es nur nachrangig an. Die innere Haltung entscheidet. Selbstvernebelung, ein Zustand, in dem ich mir entgleite. Eine Trance, eine eigenartige Abwesenheit. Ich bewege mich auf besondere Weise, nach innen gekehrt, ich gehe verborgen im Hall meiner Schritte, ich tarne mich mit mir selbst. In diesem Zustand, gefangen in unscharfer Bewegung, kann ich durch eine belebte Einkaufsstraße gehen, ohne daß mich jemand bemerkt. Auch wenn ich der einzige Passant bin auf leerem Platz, werde ich von derUmgebung geschluckt. Gewohnheiten ablegen, unbestimmt werden. Eine Pflastersteinreihe werden, eine Asphaltdecke, mit der Hauswand verschmelzen. Es gelingt mir am besten bei Hauswänden aus den fünfziger Jahren, ornamentfreie, langweilige Flächen, der Anstrich stark eingedunkelt und verschmutzt, klapprige Briefkastenschlitze, der Sockel verklinkert, Garagentore. Mich als Garagentor vor eine solche Wand spannen, im Rücken die Wäschestangen spüren, die knappen Rasenflächen, die flatternden Laken. Seitlich die Aschentonnen bemerken, die Altpapierstapel. Auf dem schmalen Bürgersteig Kölns gehen die Leute an mir vorbei, ohne mich zu sehen. Sie müssen mir ausweichen, sie sind gezwungen, einen Schritt auf die Fahrbahn zu tun, aber sie glauben, sie hätten andere Gründe, ein ausgespuckter Kaugummi, den sie großzügig umrunden, eine lose Bodenplatte, ein Aufsteller vor einem Kiosk, der für Speiseeis wirbt. Chamäleon der Innenstädte. Parkbank werden. Telefonzelle werden. Verkehrsschild werden. Es fällt leicht, wenn ich mich neben länglichen Objekten aufstelle. Ich kann mich verschatten, dem immer dichteren Schatten angleichen, mich vom Schatten der Objekte überlappen lassen. Neben einem Abfallkorb, wenn ich also Abfallkorb, Schatten des Abfallkorbs bin, werfen die Leute ihre
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