Die Sonnenposition (German Edition)
Zigarettenschachteln und Plastikflaschen auf mich. Wenn ich mich neben einem öffentlichen Telefon vernebele, sprechen die Leute in den Hörer, als gäbe es mich nicht oder als sei ich ihr Beichtvater. Es hat damit zu tun, die eigene Ausstrahlung zu drosseln. Um sich herum Wolken zu bilden, Wolken der Unnahbarkeit, der Uninteressantheit, der Ereignislosigkeit.
Bei Regen ist es am einfachsten. Unter Schirmen nehmen Fußgänger ohnehin nichts wahr. Autofahrer achten auf die Fahrbahn und haben mit betropften, beschlagenen Scheiben nur begrenzte Sicht. Es fällt leicht, sich dem Tempo des Regens anzupassen, sich in ihn hineinzuducken, in ihm zu verschwinden.
Die Ruhe des Regens mit der eigenen Unruhe nähren. Sich in seinem Glitzern verstecken. Sich mit diesem unsteten Glanz durch ein quecksilbriges Denken, huschende Bewegungen zur Deckung bringen.
Odilo stieg zu, er schnallte sich an, er verstellte sich die Rückenlehne etwas nach hinten.
Unser erster gemeinsamer Ausflug, unter meiner Leitung. Ich war unsicher, ob es sich als gute Idee erweisen würde, ihn mitzunehmen. Er war, in gewisser Hinsicht, wenig belastbar. Man konnte ihm die Niederungen des gewöhnlichen Lebens nur bedingt zumuten. Er gab sich keinen sinnlosen Vergnügungen hin, schließlich ging der Riß in der Welt durch ihn persönlich hindurch.
Was hatte er an? Er trug eine grüne Lodenjacke mit Hirschhornknöpfen, er glaubte damit meiner Anweisung zu entsprechen, etwas Gedecktes, Waldgemäßes, möglichst Schlichtes anzuziehen, mit dem man beim Wandern in abgelegenen Eifelregionen nicht auffiel.
Ich möge losfahren, sagte er im Tonfall eines Fahrlehrers, und ich fuhr sofort los.
Er saß neben mir, schweigsam und müde, ohne daß die Müdigkeit ihn gelockert hätte. Zwar hielt er sich breitbeinig, die Arme weit, die Hände offen, ganz Lässigkeit, ganz Abenteuer, doch ging diese Ausflugspose mit einem zu hohen Muskeltonus einher, einer Anspannung, die zu seinem Habitus gehörte und ihm, trotz oder wegen aller Bemühung, etwas Linkisches und Steifes verlieh, als sei er stets darum bemüht, sich zusammenzunehmen, etwas Verborgenes nicht nach außen dringen zu lassen.
Sein einziger Ausrüstungsgegenstand die Brille, die er immer wieder abnahm, sich die Augen rieb, von einer sinnlosen Konzentration erschöpft.
Er war unterdurchschnittlich groß, es fiel nicht auf, wenner saß. Im Stehen reichte er mir nur bis zur Schulter, aber seltsamerweise gelang es ihm dennoch, den Eindruck zu vermitteln, daß ich zu ihm aufschauen müsse. Wenn ich ihn vor mir sehe, sehe ich ihn wie aus Untersicht, einen schlanken, drahtigen Mann, der sich körperlich stark verändern konnte: unangenehm verzerrt, ja häßlich, jedenfalls auf den ersten Blick. Dann wieder: eine geschmeidige Art, sich zu bewegen, eine animalische Anmut, eine instinktive Bewegungsschönheit, die einsetzte, sobald er seinen Körper vergaß.
Ein schwerer Schädel mit stark gewölbten Brauen, so weit vorspringend, daß sie mich an die Ansätze von Hörnern erinnerten und ich mich manchmal dabei ertappte, wie ich erwartete, daß er den Kopf senkte und zum Angriff überging.
Sein Gesicht disproportioniert, die Augen etwas zu klein, die Nase etwas zu breit, eine hohe Stirn, schmale Lippen, starker Bartwuchs, so daß auf seiner Haut immer ein schmutziger Schimmer lag, ein wenig schönes Gesicht, dessen Unausgegorenheit jedoch in Vergessenheit geriet, wenn er einen ansah.
Dunkle Augen, die tief in den Höhlen lagen, Augen von fragwürdiger, unbestimmbarer Farbe. Mal das öde Braunblau aufgewühlter See, mal, je nach Lichteinfall, ganz schwarz, als seien seine Pupillen dauerhaft erweitert. Augen, die etwas Verkniffenes, Stechendes besaßen, als träte aus ihnen ein Sehstrahl, der auf die Welt zustieß und die Dinge berührte, sie streichelte und strafte und manipulierte. Ein hypnotisierender Blick, der wie von einer Sonnenbrille kam und aus der Anonymität operierte, ein irritierender Blick, vor dem man sich entblößt fühlte und zugleich auf eine unerhörte Art gewürdigt.
Im Wagen war es klamm, es roch nach den Bananen, die als eiserner Proviant auf dem Rücksitz lagen, und es roch nach ihm, seinem Haarwaschmittel, seinem Rasierwasser, nach dem süßlichen Waschpulver, das seine Mutter verwendete und dassich mit dem Aroma seiner Haut zu einem Duft vermischte, an dem ich ihn mit geschlossenen Augen aus jeder Menschenmenge hätte herausfinden können.
Auf der Frontscheibe hinterließ der Sprühregen
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