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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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draußen warf. Manche von ihnen liefen in Panik von der Fensterbank in den Raum; die Pflegerin fing sie ein. Sie fegte mit einem Handfeger die Netze weg, fast tat es mir leid um die Arbeit der Tiere. Inzwischen haben sie ihr Werk erneuert, nicht ganz so umfangreich wie zu Beginn, so daß ich das eine Fenster öffnen kann. Im anderen beobachte ich sie. Sie arbeiten nachts.
    Beständig hängt hier ein Pilzgeruch in der Luft; man hat es bisher vermieden, die Tapeten abzureißen, um zu kontrollieren, ob sich dahinter Schimmel gebildet hat. Man kann sie nicht einfach ersetzen, man müßte sie abnehmen und restaurieren. Der pilzige Geruch verwandelt sich im Mund in einen modrigen Geschmack. Und es scheint, als zerfalle das Schloß in meiner Mundhöhle, als zerfalle es, je mehr ich davon spreche, immer weiter, rieselnder Putz, Sonnentrümmer, Gipspulver. Ich knirsche nachts mit den Zähnen. Ich schlafe schlecht.
    Draußen geht die Sonne auf und unter. Im Schloß verfallen die Kränze und Kreise. Die Stuckrosetten schwinden, das Deckengemälde Aurora verrottet, in die strahlig angelegten Achsen im Park frißt sich Gras. Draußen geht die Sonne auf und unter, während all unsere Nachahmungen nicht von Dauer sind. Gescheiterte Sonnen, untergegangene Sonnen – überall im Schloß sammeln sich die irdischen Reste, verdüsterte Sonnen aus grau gefaßtem Lindenholz über den Eingängen zum Speisesaal, Türklinken, die einmal vergoldet waren und jetzt ermattet sind, abgegriffene Sonnen, blind gewordene Sonnen, vor allem aber die angelaufenen Sonnenkopien in der muffigen Anstaltskapelle, sie umgeben die Kanzel und sind fast schwarz von dem Ruß in der Luft, dem feuchten Atem, der sich als düstere menschliche Schicht über den Glanz legt, das Feuer dämpft, es soweit verdunkelt, daß man sehenden Auges hineinblicken kann, ohne also Schaden zu nehmen, aber wohl auch, ohne entzündet zu sein.
    Sonnenschiffe, Sonnenbrocken, Barocksonnen. Ihre gefilterten Strahlen um den Altar, ihre Schattenstrahlen, die aus imaginären Wolken brechen; den Staub, der gemeinhin in ihnen tanzt, haben sie auf ihre Oberfläche gezogen und sich mit ihm bedeckt: eine weiche graue Bemäntelung, um sich dem Irdischen soweit wie möglich anzugleichen.
    Draußen geht die Sonne auf und unter. Wo ist draußen, frage ich mich, wenn ich nach dem Dienst müde das Gelände verlasse. Am Giebel des Torhauses bewacht ein steinernes Auge Gottes in seinem Dreieck meine Ein- und Ausfahrten.
    Oft weiß ich selbst nicht, ob ich mich als Arzt oder als Patient hier aufhalte. (So geht es allen hier, nehme ich an.) Die Unterschiede verwischen, wenn man feststellen muß, daß nur der Status, den man einnimmt, die Macht, über die man verfügt, das Bild einer gefestigten Persönlichkeit hervorbringt, und daß es einer rätselhaften Vorsehung zu verdanken ist, daß ich den weißen Kittel trage und die anderen nicht.
    Ich erzähle von der Sonnenwarte aus. Allsehendes Auge des Arztes.
    Eine Position der Ferne, des generellen Überblicks. Ich behellige die Dinge mit meiner gleichmäßigen Aufmerksamkeit. Und doch entgeht mir mindestens die Hälfte, die Nachtseite, die Stellen, auf die der Schatten fällt. Das Interessante dabei ist die Hälfte, die im Dunklen bleibt. Die Sonne bescheint nur die Oberfläche. Und was sie sieht, ist nicht unbedingt das Entscheidende. Nicht das, worauf es ankommt. Nicht das, was eine Geschichte vorantreibt: daß sich die Körper vermischen, daß Intimität stattfindet, Auslöschung, Liebe und Haß.
    Ein sonnenhafter Erzähler, rundlich gebaut, sonnigen Gemüts, der sich erlaubt, sich gegebenenfalls auch künstlicher Beleuchtung zu bedienen, mit Straßenlaternen zu operieren, Taschenlampen, Scheinwerfern, der Durchleuchtung anstrebt und doch achtgeben muß, daß ihm das Objekt seines Interesses dabei nicht abhanden kommt.
    Wer des Nachts in ein Gebüsch leuchtet, scheucht Tiere auf und spielt ihnen Tag vor, er wird sie nie schlafend erwischen. Schatten läßt sich nur ableiten. Schatten ist da, wohin mein Blick nicht fällt. Dennoch weiß ich um ihn, denn das Licht entsteht aus der Finsternis.

I Furor

2 Pompes funèbres
    Der schwarze Lack spiegelte stark, warf das Licht zurück und blendete mich. Die Sonne brannte an diesem Morgen wie auf einem Mafiabegräbnis, auf dem Parkplatz schimmerten teure dunkle Wagen wie hohe Wellen, ich setzte meinen roten Opel hinzu und schritt über den Schotterboden zum Friedhofstor, gehemmt, gebremst, mit schweren Beinen wie

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